Berlin Der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA), Anton Börner, hält die Krise in Afghanistan für eine mögliche nachhaltige Gefahr für die Wirtschaft. Zwar spiele die Region für den deutschen Außenhandel keine zentrale Rolle.

„Sollte allerdings die Terrorgefahr steigen, kann dies schnell zu einer Destabilisierung der Region führen, was wiederum den Welthandel zusätzlich belasten würde“, sagte Börner im Gespräch mit dem Handelsblatt. Das träfe die Außenhandelsnation Deutschland substanziell.

Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl kritisierte Börner die Kanzlerkandidaten aller Parteien, Armin Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD). Der Grund: ihr aus Börners Sicht fehlendes Engagement zur Beilegung des internationalen Handelskriegs, insbesondere zwischen den USA und China. „Alle drei Kandidaten eint, dass sie nicht den Mut haben, unser derzeit größtes Problem entschlossen anzugehen“, bemängelte Börner. Die Europäer seien ein Volk von „satten Illusionisten und Gutmenschen“ geworden.

Seine Forderung: Die Regierungschefs der großen Länder in der EU um Deutschland, Frankreich oder Spanien müssten sich zusammentun und klar sagen, dass man mit „bitte, bitte“ nicht mehr weiterkomme. Börner fordert sowohl ein militärisches Aufrüsten als auch ein Aufrüsten mit Blick auf Cyberangriffe.

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Die Prognosen des Außenhandelspräsidenten für die deutsche Wirtschaft sind ansonsten düster. „Deutschland wird in eine nachhaltige Rezession hineinsteuern, wenn jetzt nichts passiert“, fürchtet Börner. Dann würden die Renten genauso wenig wie die Leistungen aus der Arbeitslosen- oder Krankenversicherung noch sicher sein.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Börner, wird die Afghanistan-Krise langfristige Auswirkungen auf den deutschen Außenhandel haben?
Man muss zwischen direkten und indirekten Auswirkungen unterscheiden. Wirtschaftlich gesehen spielt die Region für den deutschen Außenhandel keine zentrale Rolle. Sollte dadurch allerdings die Terrorgefahr steigen, kann dies schnell zu einer Destabilisierung der Region führen, was den Welthandel zusätzlich belasten würde. Die Afghanistan-Krise könnte die Außenhandelsnation Deutschland so natürlich substanziell treffen.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das passiert?
Das lässt sich nicht sagen und ist hoffentlich unwahrscheinlich. Seit über 40 Jahren gehört Afghanistan zu den instabilsten Hotspots der Welt.

Wie müssen Bundesregierung und Europäische Kommission nun reagieren?
Die vorrangige Aufgabe der Bundesregierung und der Europäischen Kommission sollte nun sein, geschlossen und mit einer Stimme aufzutreten. Entwicklungshilfe muss ganz klar an Bedingungen geknüpft werden. Es zeigt sich aber, dass die Taliban mit China möglicherweise einen neuen Partner an der Seite haben. Hier muss man abwarten, wie sich eine Regierung in Afghanistan formt und welche Ziele das Land dann verfolgt.

Wer wäre Ihnen als nächster Kanzler oder nächste Kanzlerin am liebsten, Laschet, Baerbock oder Scholz?
Mit Blick auf die sich abzeichnende politische Großwetterlage ist die Entscheidung unerheblich. Alle drei Kandidaten eint, dass sie nicht den Mut haben, unser derzeit größtes Problem entschlossen anzugehen. Deutschland und ganz Europa werden vom Handelskrieg zwischen China und den USA schweren Schaden davontragen.

„Die Afghanistan-Krise könnte die Außenhandelsnation Deutschland substantiell treffen“

Warum kann weder Laschet noch Baerbock oder Scholz aus Ihrer Sicht etwas dagegen tun?
Keiner von ihnen traut sich, klare Kante zu zeigen. Mit Diplomatie kommen wir nicht mehr weiter. Wir sind in Europa ein Volk von satten Illusionisten und Gutmenschen geworden, die sich der Realität nicht stellen. Um uns herum entstehen autokratische und diktatorische Regime, die eiskalte Machtpolitik betreiben, und wir glauben, wir können mit schönen Reden dagegenhalten.

Woran machen Sie das fest?
Dafür gibt es diverse Beispiele. Schauen Sie sich doch den weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko an, der Oppositionelle aus ausländischen Flugzeugen entführen oder Proteste gewaltsam niederschlagen lässt. Haben die Regierenden die Beschlagnahmung der Schwarzgelder, die Lukaschenko in der EU lagert, veranlasst? Nein. Die Kinder von diesen Leuten gehen in der Schweiz auf ein Internat. Reagiert jemand darauf? Nein. Selbst in der EU läuft das so. Polen und Ungarn machen trotz Vertragsverletzungsverfahren munter weiter, Grundrechte auszuhebeln.

Was muss passieren?
Die Regierungschefs der großen Länder in der EU um Deutschland, Frankreich oder Spanien müssten sich zusammentun und klar sagen: Mit „bitte, bitte“ kommen wir nicht mehr weiter, es braucht einen Gegenangriff.

Was soll das bedeuten?
Europa muss weltweit wieder ernst genommen werden, von einem Xi, einem Biden und genauso von einem Putin oder Erdogan. Das funktioniert nur, wenn wir aufrüsten. Ich will absolut keinen Krieg. Aber wir Europäer brauchen auch militärisches Gewicht, um uns zu schützen. Beim Handel über Meeresrouten zum Beispiel begeben sich deutsche Schiffe an vielen Stellen der Welt in große Gefahren. Warum werden sie nicht von der Marine begleitet? Gleichzeitig befinden wir uns mitten in einem Cyberkrieg. Was haben wir dem entgegenzusetzen? Nichts. Auch an dieser Stelle müssen wir massiv aufrüsten – sowohl, um unsere IT zu verteidigen, als auch, um Gegenangriffe zu setzen.

Komplette Eskalation, das kann doch nicht die Lösung sein.
Es geht nicht um Eskalation, sondern um Schutz, indem wir zeigen, dass wir nicht alles mit uns machen lassen. Wenn wir weitermachen wie bisher, wird uns das schwer schaden, vor allem wirtschaftlich. Ich bin davon überzeugt: Deutschland wird in eine nachhaltige Rezession hineinsteuern, wenn jetzt nichts passiert. Dann werden die Renten genauso wenig wie die Leistungen aus der Arbeitslosen- oder Krankenversicherung noch sicher sein. Die deutsche Wirtschaft kann nicht bloß mit Europa überleben.

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Dabei befinden wir uns in einer Phase konjunkturellen Aufschwungs.
Wenn wir jetzt nicht handeln, wird sich das schnell ändern.

Warum?
Weil China und die USA so lange den Druck auf Europa erhöhen werden, bis wir uns für eine Seite entscheiden müssen. Gerade die exportorientierte deutsche Wirtschaft braucht aber unbedingt den chinesischen und den US-amerikanischen Markt.

Weshalb sollte der Druck so hoch werden?
Weil China und die USA die Mittel dazu haben. Bei finanziellen Transaktionen haben das die Amerikaner bereits gezeigt. Wer mit dem Iran Handel treibt, der kommt auf eine schwarze Liste und kann in den USA keinen Scheck mehr einlösen. Die USA sind so in der Lage, ganze Unternehmen in ihrem Land geschäftsunfähig zu machen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die USA bald genauso mit Unternehmen umgehen werden, die Geschäfte mit China machen.

Da dürfte allein schon die Welthandelsorganisation (WTO) etwas gegen haben.
Die WTO, wie wir sie kennen, ist tot. China und die USA blockieren dort alles, was ihnen nicht passt. Deshalb bleiben dem Außenhandel nur noch Freihandelsabkommen als Mittel. Aber da gibt es die gleichen Probleme. Das Abkommen mit Kanada etwa ist auf der Zielgeraden. Doch jetzt scheitert der Bundestag an der Ratifizierung. Wenn wir es nicht einmal schaffen, mit einem Wertepartner wie Kanada ein Abkommen abzuschließen, sehe ich schwarz für jegliche Weiterentwicklung im internationalen Handel. Während Stillstand herrschte, ist das Einzige, was die Politik zustande gebracht hat, ein Lieferkettengesetz. Das ist doch absurd.

Was ist absurd daran, die Rechte von Arbeitern zu schützen?
Das Gesetz geht völlig an der Realität vorbei. Bestes Beispiel: In Afrika gibt es vier Millionen kleine Kaffeebauern. Von den Händlern wird nun verlangt, jedwede Arbeitsbedingungen von den Bauern zu prüfen, bei denen sie ihre Ware beziehen. Aber die können doch nicht Tausende Lieferanten und Kleinbauern checken. Warum sollte ein Unternehmen diese Risiken eingehen, wenn es doch auch Kaffee aus industriellem Anbau wie zum Beispiel in Vietnam gibt? Die Afrikaner haben dadurch nicht nur keine besseren Arbeitsbedingungen, sondern auch noch ihr Geschäft verloren.

Mehr: Wie gefährlich Deutschlands Export-Abhängigkeit werden kann

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