Deutschland Friedrich Merz bei Junger Union
„Die Union ist ein insolvenzgefährdeter, schwerer Sanierungsfall“
Stand: 00:42 Uhr
Quelle: dpa/Bernd Thissen
Die Junge Union macht den diesjährigen Deutschlandtag zur großen Abrechnung nach der Wahlniederlage. Der Nachwuchs schafft ein wichtiges Ventil für die gesamte Partei. Das hilft vielen Enttäuschten, doch für Noch-Parteichef Armin Laschet wird es ziemlich bitter.
Als eine Steigerung kaum mehr möglich scheint, um die miserable Situation der Union zu beschreiben, setzt Tilmann Kuban noch einen drauf. Die Union sei in einer Lage, die man „nicht anders als beschissen bezeichnen kann“, sagt der Bundeschef der Jungen Union am Freitagabend in der Halle Münsterland. Damit spricht er den fast 280 anwesenden Delegierten so ziemlich aus dem Herzen.
Der Bundesvorstand der CDU-Nachwuchsorganisation beschreibt das Versagen der Partei im Bundestagswahlkampf detailliert in einem Initiativantrag, ohne Rücksicht auf persönliche Verletzungen: Armin Laschet war demnach der falsche Spitzenkandidat, keine zündenden Themen, überfordertes Wahlkampfmanagement, Intrigen zwischen CDU und CSU. „Das Ergebnis der Union bei der Bundestagswahl 2021 war ebenso katastrophal wie vermeidbar“, heißt es gleich zu Beginn des Antrags.
Der auf drei Tage gestreckte „Deutschlandtag“ in Münster wird gleich zu Beginn zum Ventil für die große Enttäuschung in der Partei. Der Nachwuchs schafft ein wichtiges Ventil für die gesamte Partei. Zugleich will Kuban seine Organisation zum „Taktgeber“ für den Neuanfang in der Partei machen.
Dabei übernimmt Nordrhein-Westfalens JU-Landeschef Johannes Winkel den Job des harten innerparteilichen Angreifers. „Wir müssen uns jetzt einfach mal ehrlich machen. Wer im Wahlkampf so auftritt wie Armin Laschet, der sollte nach der Wahl nicht direkt den Anspruch erheben, Kanzler zu werden, sondern vor allem Verantwortung für das Ergebnis übernehmen“, sagt Winkel. Großer Jubel bricht aus, großer Applaus. „Und wer im Wahlkampf so nachtritt wie Markus Söder, der sollte nicht über Stilfragen reden, sondern zur Beichte gehen.“ Wieder Jubel, wieder Applaus. Es klingt wie eine laute Massenfrustverarbeitung.
„50 Prozent Politik und 50 Prozent Party“
Die traditionelle Losung eines Deutschlandtages lautet „50 Prozent Politik und 50 Prozent Party“, und am frühen Freitagabend sind bei der offiziellen Eröffnung schon etliche Bierflaschen auf den Tischen zu sehen, aber irgendwie passt es nicht zur politischen Stimmung. Friedrich Merz ist der erste prominente Gast, und es gefällt ihm nicht, dass hinten die eine oder andere Flaschen kreist.
„Das ist jetzt nicht die Zeit für Partys“, mahnt der 65-Jährige altväterlich streng. Das Motto müsse jetzt lauten „70 Prozent Arbeit und 30 Prozent Party“. Am späteren Abend gönnt sich Merz im Foyer immerhin ein frisch gezapftes Bier mit dem Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek.
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Der frühere Unionsfraktionschef Merz macht den Anfang. Am Samstag kommen Noch-CDU-Parteichef Armin Laschet und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Am Nachmittag ist eine Wahlanalyse mit den Generalsekretären Paul Ziemiak (CDU) und Markus Blume (CSU) geplant. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. (CDU) spricht am Sonntag. Der JU-Deutschlandtag wird nicht allein zur Abrechnung genutzt, sondern auch zum Casting potenzieller Nachfolger. Nur der außenpolitische Experte Norbert Röttgen fehlt.
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Ob Merz noch für den Parteivorsitz kandidiert, bleibt unklar. „Stehen Sie für den Vorsitz erneut zur Verfügung? Aller guten Dinge sind drei“, fragt ein Delegierter. Merz antwortet, dass er sich noch nicht entschieden habe. Er will das davon abhängig machen, ob eine gute Führungsmannschaft aufgestellt werde, ob Loyalität, Vertraulichkeit, Verschwiegenheit, Anstand im Umgang miteinander gewährleistet seien.
Insgesamt zündet der Auftritt von Merz nicht richtig
Merz ist mit seinem konservativen, wirtschaftsliberalen Habitus eigentlich ziemlich populär bei der JU. Zunächst trifft er auch voll in die von Kuban bereits groß und tief geschlagene Kerbe: „Die Union ist mit diesem Wahlergebnis ein insolvenzgefährdeter, schwerer Sanierungsfall geworden.“
Doch insgesamt zündet der Auftritt von Merz nicht richtig. Vielleicht liegt es daran, dass er mehr Fragen aufwirft, anstatt Antworten zu geben. Er habe eine wunderbare Rede gehalten, sagt ein Delegierter zu Merz und fragt: „Wo sind denn Ihre Lösungen?“ Eine junge Frau will wissen, auf welche jungen Themen die CDU setzen solle: „Wie schaffen wir es, keine Altherrenpartei mehr zu sein?“ Merz bleibt vage und antwortet, die CDU müsse interessant sein. Auch sein Versuch, die Erlaubnis von Muezzinrufen beim Freitagsgebet in Köln kritisch zu hinterfragen, versendet sich.
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Die Aufmerksamkeit der Delegierten bekommt Merz zurück, als er über die verlorene Wahl spricht: Die SPD sei „besser durchgestylt“ und die CDU mit allem zu spät gewesen. Zugleich kritisiert Merz die Angriffe aus der CSU auf CDU-Parteichef Laschet. Er will eine schnelle personelle Neuaufstellung noch in diesem Jahr, damit die neue Bundesführung in der ersten Januarhälfte ihre Strategie beraten kann. Merz fordert von seiner Partei eine „konstruktive Opposition“. Am Ende wird er dann mit stehendem Applaus verabschiedet. Solche überschwänglichen Gesten kann der scheidende CDU-Parteichef Laschet am Samstag kaum erwarten.