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Im Ukraine-Krieg verliert die Nato ihren Chef. Wer kann Stoltenberg ersetzen? CDU-Politiker und Ex-Nato-Mitarbeiter Kiesewetter hat eine Favoritin für die Nachfolge.
Berlin/Brüssel – Jens Stoltenberg steht seit über acht Jahren an der Spitze der Nato. Der Generalsekretär ist spätestens seit Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine zur Stimme des Westens geworden. Erst am Dienstag (4. April) begrüßte er Finnland als neues Mitglied im westlichen Verteidigungsbündnis.
Stimme des Westens gegen Putin: Jens Stoltenberg (l.) gibt seinen Posten als Nato-Generalsekretär inmitten des Ukraine-Kriegs ab. © Imago/Tass
Dabei wollte der Norweger eigentlich schon im vergangenen September als Nato-Vorsitzender aufhören, um Chef der norwegischen Zentralbank zu werden. Dann kam der Ukraine-Krieg – und Stoltenberg blieb. Doch jetzt macht der 64-Jährige ernst: Im Dezember will der ehemalige norwegische Regierungschef nun endgültig zur Notenbank wechseln.
Nato ohne Stoltenberg geschwächt? Ex-Bundeswehroberst gibt Einschätzung zur Nachfolge
Der CDU-Politiker und Ex-Bundeswehroberst Roderich Kiesewetter arbeitete selbst sechs Jahre lang für die Nato – von 2000 bis 2002 und dann nochmals von 2006 bis 2009. Er war an mehreren Nato-Missionen beteiligt. Im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA erklärt er, warum die Nato gerade durch den Ukraine-Krieg so stark ist wie nie – und warum er EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) nicht als geeignete Nato-Chefin sieht.
Herr Kiesewetter, der Abgang von Stoltenberg ist zwar keine Überraschung, doch ein Wechsel an der Nato-Spitze inmitten eines Krieges ist trotzdem kein günstiger Zeitpunkt. Oder wie sehen Sie das?
Stoltenbergs Wechsel war ja schon vergangenes Jahr Thema. Er hat dann seine Amtszeit doch noch einmal um ein Jahr verlängert. Ich glaube, dass die Nato inzwischen – gerade wegen des Ukraine-Kriegs – innerlich so stark gefestigt ist, dass sie diesen Wechsel gut verkraftet. Natürlich braucht die Nato einen guten Generalsekretär, aber wichtig ist auch der Nato-Rat und dort sitzen Profis mit einem klaren Wertekompass. Die Nato ist heute stärker als je zuvor. Oder wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass Finnland und bald Schweden Mitglied werden?
Oberst a. D. Roderich Kiesewetter war früher bei der Nato tätig, heute sitzt er für die CDU im Bundestag. © Stella von Saldern (privat)
Nato: „Nachfolger muss Zeitenwende im Mindset vollzogen haben – damit ist Deutschland raus“
Als Nachfolger sind mehrere Kandidaten im Gespräch. Wer kann die Lücke, die Stoltenberg hinterlassen wird, ihrer Meinung nach füllen?
Ich persönlich kann mir die estnische Premierministerin Kaja Kallas sehr gut vorstellen, oder jemanden aus Litauen. Kallas hat früh viel Fingerspitzengefühl für die aktuelle Bedrohungslage durch Russland bewiesen und kennt auch die Bedürfnisse der kleineren Nato-Staaten, was wichtig ist. Es braucht auf jeden Fall jemanden an der Spitze, der klar und stark kommunizieren kann, um die verunsicherte Bevölkerung davon zu überzeugen, dass mehr Kampf- und Verteidigungsbereitschaft notwendig ist. Außerdem muss der Nachfolger einen klaren Wertekompass gegenüber Russland und China besitzen, und die sogenannte Zeitenwende im Mindset vollzogen haben. Damit ist Deutschland schon mal raus.
Nato-Generalsekretär oder -Sekretärin: Das sind die Aufgaben
Der Generalsekretär (oder die Generalsekretärin) sitzt dem Nordatlantikrat vor und leitet das Generalsekretariat mit dem Internationalen Stab. Er oder sie vertritt das westliche Verteidigungsbündnis nach außen, gegenüber Regierungen und den Medien. Militärische Befehlsgewalt oder politische Entscheidungsbefugnisse sieht das Amt nicht vor.
Er oder sie sollte zuvor Staats- oder Regierungschef:in gewesen sein (Wortlaut auf nato.int: „senior political figure“). Die Amtsperiode beträgt vier Jahre. Der Kandidat oder die Kandidatin muss einstimmig von allen Mitgliedstaaten berufen werden; andernfalls bleibt das Amt unbesetzt. Am Ende der Amtszeit kann er oder sie gebeten werden, das Amt weiter auszuüben. (fra)
„Neue Nato wird östlicher, verteidigungsbereiter und transatlantischer“
Ursula von der Leyen ist unter anderem als Nachfolgerin von Stoltenberg im Gespräch. Ihrer Meinung nach ist sie also nicht geeignet?
Ursula von der Leyen sollte meiner Meinung nach wieder als EU-Kommissionspräsidentin kandidieren, damit Deutschland seinen Einfluss in der EU behält. Bezüglich der Nato hat Deutschland noch so viele Hausaufgaben zu machen. Bei der Wahl des neuen Nato-Generalsekretärs stehen wir sicherlich nicht an erster Stelle. Die neue Nato wird östlicher, verteidigungsbereiter und transatlantischer sein. Deutschland muss die Zeitenwende ja erst einmal noch vollziehen – da sind andere Länder weit voraus.
Wie hat Stoltenberg in seiner langen Amtszeit das Amt des Nato-Chefs geprägt?
Stoltenberg macht das ausgezeichnet, was auch an seiner langen Regierungserfahrung liegt, die man für dieses Amt braucht. Er hat sich immer sehr klar positioniert, aber auch vermittelt, und er pflegte immer eine sehr enge transatlantische Verbindung. Außerdem ist es ihm gelungen, die Sicherheitsinteressen vieler südeuropäischer Länder mit dem nachvollziehbaren Bedrohungsgefühl osteuropäischer Staaten in Einklang zu bringen.
Das Gespräch führte Stephanie Munk.