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Mit Deutschland gerät Europas Vorzeige-Wirtschaftsnation auf das Krankenbett. Dafür gibt es unterschiedliche Ursachen, so ein US-Magazin. Und nennt dabei auch die Politik von Ex-Kanzler Schröder.
New York/München – Vom Vorbild zum Sorgenkind: Innerhalb kurzer Zeit hat sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland verändert. Zwar verlief das erste Halbjahr 2023 statistisch relativ milde ab und besonders Autos und Maschinen dienen den hiesigen Unternehmen noch als Exportschlager. Angesichts der geopolitischen Ereignisse der jüngeren Zeit stehen die Weichen in der Bundesrepublik jedoch auf Abstieg der Wirtschaftsleistung und damit auch des finanziellen Wohlstandes.
Eine kürzlich getätigte Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) verheißt diesbezüglich nichts Gutes: Europas größte Volkswirtschaft wird im Jahr 2023 als einziges Land der G7-Staaten einen Rückgang erleiden, was eine Rezession bedeutet. Das US-Magazin Wall Street Journal (WSJ) erörterte, welche Ursachen zu den Problemen von Deutschland geführt haben und vergleicht die Situation mit jener kurz nach der Jahrtausendwende, als hohe Arbeitslosigkeit und die Globalisierung „deutsche Fabriken verwüsteten“.
Deutsche Wirtschaft: „Agenda 2010“ und die Aufgabe der Eigenständigkeit
Damals habe die Bundesregierung mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) Maßnahmen ergriffen, die dem Land einen „atemberaubenden Aufschwung der Wirtschaftskraft um acht Prozent“ bescherte. Gemeint ist die „Agenda 2010“, die laut der Zeitung auf internationale Wettbewerbsfähigkeit und die „Schaffung von schlecht bezahlten Minijobs“ gesetzt habe. In der Folge konnte sich Deutschland zu sehr auf einen „brummenden Export“ verlassen und seine Eigenständigkeit zunehmend aufgegeben.
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei ING, sagte dem Blatt: „In den letzten 20 Jahren hatte Deutschland immer einen externen Sugar-Daddy: China, die Eurozone und dann die USA.“ Als Beispiel lässt sich Deutschlands Autoindustrie heranziehen: Schon länger handelt es sich speziell bei der Volksrepublik, aber auch den Vereinigten Staaten um die zwei wohl wichtigsten Absatzmärkte, um die sich bei Deutschlands Autobossen die Gedanken drehen.
Älterer Mann jongliert mit Münzgeld: Verlässt Deutschland sich zu sehr auf andere Wirtschaftspartner? © IMAGO/Wolfgang Maria Weber
In dem Bericht erklärt der Bankmanager, der wöchentlich in einem Podcast über die wirtschaftliche Lage in Deutschland spricht, dass das hiesige Modell den Fehler habe, die Wirtschaftspolitik auszulagern. Das führe wiederum zu „problematischen Abhängigkeiten von geopolitischen Rivalen“. Unweigerlich erzeugt das besonders dann eine Negativspirale, wenn zwei große Wirtschaftsnationen (USA und China) verschärft als Systemrivalen in einen Konflikt geraten.
Deutschland in der Rezession – Verkettung mehrerer Ereignisse
Eine treffende Beschreibung tätigte diesbezüglich die renommierte US-Zeitung New York Times: „Deutschland war lange ein Dreh- und Angelpunkt des chinesischen Handels in Europa, gerät nun jedoch in den diplomatischen Streit zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt – umworben von China, aber von Washington gedrängt, sich weiter von Peking zu entfernen.“ Die sozio-ökonomische Ordnung der Bundesrepublik würde unter der Last stockender Modernisierung sowie Brüche in der Weltpolitik ins Wanken geraten.
Einen damit zusammenhängenden Faktor für den wirtschaftlichen Abschwung sei laut dem WSJ die Konzentration auf „alte Gewinner“ (gemeint ist die Autoindustrie), was auf Kosten innovativer, digitaler Technologien sowie erneuerbare Energien gegangen sei. Was die Aussichten für die Wirtschaft und damit auch Verbraucher ebenfalls trübt, sind laut Brzeski die anhaltenden Turbulenzen auf den Energiemärkten. Ein wesentlicher Punkt: Die Zeiten von günstigen Rohstoffen des früheren geschätzten Handelspartners Russland sind beendet, Deutschland zahlt innerhalb der G20-Nationen mit Abstand die höchsten Energiepreise:
Deutschland sollte Produktion im Inland steigern – nicht im Ausland
Gleichwohl wird in dem Artikel erläutert, wie Deutschland zurück auf die Siegerstraße geraten und die Wirtschaftsleistung wieder steigern kann: die Produktion im Inland anzustreben, statt große Teile ins Ausland zu verlagern. Speziell die USA wirken auf deutsche Unternehmen angesichts der Subventionen durch den „Inflation Reduction Act (IRA)“ momentan eine große Anziehungskraft aus. An der „chinesischen und auch amerikanischen Industriepolitik sollte man sich ein Beispiel nehmen“, appelliert die Zeitung. Heimat statt Ausland sollte demnach die Devise heißen: In einer Welt, in der Länder gegen die Auslagerung ihrer Industrien kämpfen würden, sei das bei Deutschland bereits der Fall.
Positiv seien in diesem Hinblick die Ansiedelungen von internationalen Chipherstellern wie jüngst von Intel in Magdeburg oder auch der taiwanesischen TSMC in Dresden zu bewerten, die ihrerseits mit Milliardensubventionen der Bundesregierung nach Deutschland gelockt wurden. „Deutschland ist ein Patient, der das Krankenhaus immer wieder verlässt“, lautet eine Schlussthese mit positivem Ausblick. Verbunden mit der Hoffnung, dass sich diese Prognose bewahrheitet. (PF)