Bei den 18- bis 34-Jährigen haben über zwölf Prozent ein rechtsextremes Weltbild. Bei der Gruppe der über 65-Jährigen sind es 4,4 Prozent. (picture alliance / Robert B. Fishman)
Extrem rechte Einstellungen werden zunehmend salonfähig, kommen immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an. Das zeigt auch die neue “Mitte-Studie” der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. So befürworten beispielsweise 6,6 Prozent der Befragten eine rechtsgerichtete Diktatur mit starkem Führer und einer einzigen starken Partei. Dreimal mehr als noch vor zwei Jahren. Vor allem unter jungen Menschen haben die rechtsextremen Einstellungen zugenommen.
Die Studie untersucht alle zwei Jahre die “demokratische Mitte” auf ihren Zustand. Leitfragen sind dabei: Welche Werte werden geteilt? Wie sehr sind die Menschen mit der Demokratie, ihren Einrichtungen, Verfahren, Institutionen und Normen zufrieden? Welche demokratiegefährdenden Tendenzen gibt es? Wie groß ist die Zustimmung zu rechtsextremistischen Aussagen? Wie stark werden Aussagen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, wie Rassismus oder Klassismus bejaht? Wie stehen die Befragten zum Einsatz politischer Gewalt? Diese und weitere Einstellungen werden erfasst. Dabei suchen die Autorinnen und Autoren der Studie immer auch nach Schnittmengen zwischen den einzelnen Einstellungsmustern; etwa: Welche „harmlos“ klingenden Einstellungen treten auffällig häufig gemeinsam mit rechtsextremen Antworten auf?
Es werden per Zufall Menschen zur Befragung ausgewählt. In der vorliegenden Studie waren es etwa 2.000 Menschen. Diese Zufallsstichprobe entspricht dem Bevölkerungsquerschnitt. Die Menschen werden am Telefon in Interviews befragt. Die Interviewer lesen ihnen die Fragenkataloge vor. Es gibt jeweils fünf Antwortmöglichkeiten: “stimme voll und ganz zu”, “stimme eher zu”, “teils-teils”, “stimme eher nicht zu”, “stimme überhaupt nicht zu”. Die Antworten werden nach einem Punkteschema bewertet: 5 Punkte für volle Zustimmung, 1 Punkt für völlige Ablehnung.
In sechs Kategorien, von denen jede mit drei Einzelaussagen abgefragt wird:
- Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur (Fragebeispiel: “Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert”)
- Nationalchauvinismus (“Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht”)
- Verharmlosung des Nationalsozialismus (“Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten”)
- Fremdenfeindlichkeit (“Ausländer kommen hierher, um den Sozialstaat auszunützen”)
- Antisemitismus (“Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß”)
- Sozialdarwinismus (“Wie in der Natur sollte sich in der Gesellschaft immer der Stärkere durchsetzen”)
Wer bei einer Aussage voll und ganz zustimmt, gilt noch nicht als Person mit manifest rechtem Weltbild. Erst wenn die Befragten in der Summe aller 18 Fragen mindestens 63 Punkte haben, das entspricht einem Durchschnitt von 3,5 Punkten pro Frage, dann attestiert ihnen die Studie ein manifest rechtsextremes Weltbild.
8,3 Prozent der Befragten zeigen ein manifestes rechtsextremes Weltbild: eine massive Zunahme im Vergleich zu den zwei bis drei Prozent der letzten Erhebungen.
Auch der Graubereich derer, die Aussagen mit „teils-teils“ beantworten, ist mit 20 Prozent höher als je zuvor. 6,6 Prozent der Befragten befürworten eine rechtsgerichtete Diktatur mit starkem Führer und einer einzigen starken Partei – dieser Wert hat sich im Vergleich zu 2021 verdreifacht. Weitere 23 Prozent liegen bei diesen Aussagen im Graubereich des “teils-teils”.
Alarmierend sind auch die Zahlen bei der Befürwortung von Gewalt: Grundsätzlich würden 17 Prozent der Befragten Gewalt billigen, “wenn andere sich bei uns breitmachen“. Weitere 19 Prozent meinen hier, das sei “teils-teils” richtig. Insgesamt 13 Prozent stimmen der Aussage zu “Einige Politiker haben es verdient, wenn die Wut gegen sie auch schon mal in Gewalt umschlägt”.
Sehr viele sehen sich selbst gar nicht als rechtsextrem. Die allermeisten zählen sich selbst zur politischen Mitte. Sehr auffällig ist der starke Anstieg unter jungen Menschen: Bei den 18- bis 34-Jährigen haben über zwölf Prozent ein manifestes rechtsextremes Weltbild. Bei der Gruppe der über 65-Jährigen sind es nur 4,4 Prozent. Auch wer in ostdeutschen ländlichen Regionen mit traditioneller Industrie sozialisiert wurde, zeigt überdurchschnittliche Zustimmung. Insgesamt betonen die Autorinnen und Autoren der Studie aber, dass sich die demokratiegefährdenden Einstellungen durch die ganze Gesellschaft ziehen, auch hohe Bildung beispielsweise schützt davor nicht.
Vor allem die Erfahrung der unterschiedlichen Krisen der jüngsten Zeit haben den Anstieg mitverursacht, so die Vermutung: Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation haben bei vielen Menschen ein Gefühl der “Entsicherung” bewirkt. Zugleich sind neue demokratiefeindliche Akteure aufgetreten: Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen haben sich bildungsbürgerliche Milieus mit Rechtsextremen vermischt. Hier zeigt die Studie, wie beispielsweise ein sehr extremes Verständnis individueller Freiheit ins Autoritäre umschlagen kann. So bewerten Angehörige der “Libertär-Autoritären” häufig die Demokratie und die politischen Parteien als mangelhaft. Sie befürworten auch häufig Gewalt als politisches Mittel. Auf diesen Demos und in diesem Milieu suchen rechtsextreme Bewegungen gezielt den Schulterschluss mit bürgerlichen Milieus.
Im Zusammenhang mit Ergebnissen anderer Studien, wie zum Beispiel der Leipziger Autoritarismus-Studie sind die Ergebnisse alarmierend. Die demokratische Mitte ist brüchig geworden. Fazit: Deutschland kommt mit mehr Rechtsextremismus aus der Corona-Pandemie raus. Zwar lehnt noch immer die absolute Mehrheit Rechtsextremismus ab. Aber die Schnittmengen zwischen populistischen oder autoritären Einstellungen und Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder gar rechtsextremen Aussagen werden größer.