Am Rande des Vogter Gewerbegebiets hat das junge Unternehmen Propain ein futuristisch anmutendes Gebäude in Schwarz in die hügelige Landschaft des Vorallgäus gepflanzt. Schon die Architektur ist symbolisch dafür, dass hier einiges so ganz anders läuft als anderswo in Oberschwaben. Junge Mitarbeiter mit Cappy auf dem Kopf empfangen die Kunden. Hier wird auch ganz selbstverständlich geduzt. Bike-Branche, versteht sich.
Und auch Geschäftsführer David Assfalg duzt kräftig mit. Er bittet in sein Büro herein ‐ natürlich in Jeans und T-Shirt. Es riecht es nach Zirbenholz. Das liebt der gelernte Schreiner genauso wie das Spiel mit Symbolen. Die Maße seines Büros sind denen der Holzhütte nachempfunden, in der einst die Geschichte von Propain begann, sagt Assfalg. Das Büro aus Holz soll eine Hommage daran sein. Eine Erinnerung an die Geschichte, wie alles begann, die auch erden soll. Denn wer sich die Zahlen von Propain anschaut, dem kann schnell schwindelig werden.
Umsatz von 60 Millionen Euro ist das Ziel
Andere Geschäftsführer träumen von diesen Zahlen nur: Im Durchschnitt wuchs das 2012 gegründete Vogter Unternehmen Propain in den vergangenen zehn Jahren um 47 Prozent pro Jahr. Allein 2022 legte das Unternehmen ein Wachstum von 118 Prozent hin. „Es ging alles so schnell“, sagt David Assfalg. Und fügt zum Umsatz selbstbewusst hinzu: „Die 60 Millionen Euro trau ich uns locker zu.“ Die sollen schon 2025 erreicht werden. In diesem Jahr peilt Assfalg aber erstmal die 40-Millionen-Euro-Marke an. Das hat natürlich alles Auswirkungen auf den Standort Vogt, denn auf dem jetzigen Gelände wird es zu eng. Das Unternehmen platzt jetzt schon aus allen Nähten.
David Assfalg ist Geschäftsführer von Propain. (Foto: Propain)
Propain ist ein Hersteller von ganz speziellen Mountainbikes. Das Prinzip ist einfach: Die Ingenieure der Vogter Firma bieten Grundmodelle von Mountainbikes an, die jedoch jeder selbst ganz individuell gestalten kann ‐ zum Beispiel, was Reifengröße, Farbe oder Bremsen anbelangt. Was jedoch bleibt, ist das Herzstück: der Rahmen mit der Innovation von Mitgründer und Ingenieur Robert Krauss mit dem „Pro10“-Hinterbau, der eine Vollfederung bei gleichzeitiger Performance im Gelände erlaubt. So kann der Kunde zu Hause am Rechner sein individuelles Fahrrad konfigurieren ‐ wie bei einem Neuwagen. Je nach Konfiguration unterscheidet sich auch der Preis. Die Idee und den Anspruch beschreibt Assfalg so: „Den Porsche zum Preis von einem VW.“ Los geht’s bei einem Standard-Mountainbike bei 3000 Euro.
Zukunft im E-Bike-Segment
Doch es geht auch teurer, wenn man etwa ins E-Bike-Segment geht. Die bewegen sich im Bereich von 5000 bis 10.000 Euro. „Das ist ganz klar ein Wachstumsmarkt“, sagt David Assfalg. Erst im August brachte die Vogter Fahrradschmiede mit dem E-Freerider ein neues Modell auf den Markt. Am 12. Oktober kommt ein weiteres auf den Markt ‐, und zwar mit einem Schaltsystem von Sram, was in Branche für Aufsehen gesorgt hat, wie man im Hauptquartier in Vogt berichtet.
„Für uns als kleine Marke ist der Deal mit Marktführer Sram schon etwas Großes“, sagt etwa Luis Brethauer von der Unternehmenskommunikation, der einst als BMX-Star bei den Olympischen Spielen für Deutschland startete. Bei Propain will man noch weiter in das E-Bike-Segment investieren. Denn auch der Sportler, der vielleicht nach Feierabend noch schnell den Pfänder hoch- und runterfahren will, hat einen inneren Schweinehund, den er mit dem Wissen um eine elektrische Unterstützung schneller überwinden kann.
35 Bewerbungen auf eine Stelle
Die Entwicklung von Propain geht weiter bergauf. Propain sponsert inzwischen zahlreiche Profisportler der Szene wie etwa die Ravensburger Brüder Janik und Laurin Voth oder internationale Größen wie Rémy Métailler aus Kanada. 180 Mitarbeiter beschäftigt Propain an seinem Hauptstandort in Vogt. „Ein paar arbeiten auch ausschließlich von zu Hause in anderen Teilen von Deutschland“, sagt Assfalg. Anders als bei anderen Unternehmen klagt man in Vogt nicht über zu wenige Bewerbungen. Das Image ist gut, das Team jung, und der Markt wächst. Auf die Stellenausschreibung eines Einkäufers seien 35 Bewerbungen ins Haus geflattert, berichtet Assfalg.
Der Unternehmenssitz von Propain in Vogt: Das Unternehmen wächst und deshalb soll auch angebaut werden. (Foto: Propain)
Inzwischen ist Propain international aufgestellt: 20 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen in der Nähe von Portland im US-Bundesstaat Washington, fünf Mitarbeiter sitzen in London, und bald möchten die Vogter einen Distributeur in Chile übernehmen, um so auf den lateinamerikanischen Markt vorzustoßen. Denn dort sieht der Geschäftsführer Potenzial.
Das sind die Wachstumsmärkte
Südamerika ist mit den Anden ein Outdoor-Sport-Paradies für Mountainbiker aus Europa, aber auch die Südamerikaner selbst biken gerne dort. Dass die Kaufkraft der Südamerikaner deutlich unter der der Europäer liegt, schreckt im Hauptquartier in Vogt niemand ab. Man gibt sich zuversichtlich. Assfalg: „Es ist nicht unser erster Markt, aber auch in Südamerika werden Porsche verkauft.“ Der erste Markt für Propain ist neben Deutschland das restliche Europa. Vor allem Polen, Tschechien und Frankreich hat Assfalg da im Visier.
Das wirtschaftliche Wachstum von Propain macht sich nicht nur in Zahlen bemerkbar, sondern auch physikalisch. Denn es wird mittlerweile zu eng am Stammsitz. Momentan hat Propain ein Gebäude mit 2000 Quadratmetern, eine Lagerhalle mit 3500 Quadratmetern und das Gebäude des Tochterunternehmens Sixpack mit 680 Quadratmetern, nebenan soll eine neue dreistöckige Halle mit 3000 Quadratmetern entstehen. Das Unternehmen ist auf Wachstumskurs.
Internationale Krisen sind Thema
Als Geschäftsführer muss David Assfalg nicht nur die wirtschaftliche Lage, sondern auch die politische Weltlage im Blick behalten. Denn die Taiwan-Krise beunruhigt die Fahrradbranche. Wie das Branchenmagazin Radmarkt berichtet, ist Taiwan mittlerweile der weltweit zweitgrößte Fahrradteile-Exporteur. 2021 war Deutschland auch Taiwans größter Länderkunde. Das verdeutlicht die Bedeutung des kleinen Inselstaates, den China als sein Territorium beansprucht.
Seit Monaten spitzt sich der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt zu und befindet sich Ende September auf einem neuen Höhepunkt. Ähnlich wie die Halbleiterindustrie bangt auch die Fahrradbranche. Wie viele andere Fahrradhersteller bezieht auch Propain Komponenten aus Taiwan. Langfristig will Assfalg bei seinen Zulieferern diversifizieren. Einzelteile wie Pedale von der Tochterfirma Sixpack beispielsweise sind mittlerweile sogar „made in Oberschwaben“. Es haben sich Partnerschaften mit Unternehmen rund um den Hauptsitz ergeben.
Auch der Brexit hatte seine Folgen für die Vogter. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union mussten sich Unternehmen wieder mit Zollformalitäten herumschlagen. Damit sich dieses Problem einfach regeln lässt, gründete Propain eine Niederlassung in London.
Der Bike-Sport ist im Aufwind
Währenddessen wird in der Werkstatt im Vogter Gewerbegebiet weiter geschraubt. Laute Musik dröhnt aus den Boxen, die Mitarbeiter scherzen. Die meisten von ihnen sind selbst begeisterte Hobbybiker und verabreden sich nach Feierabend zu Touren. In der Werkstatt werden die Räder zusammengeschraubt, bevor sie nebenan in Kartons verpackt und für die Auslieferung vorbereitet werden. Im vergangenen Jahr produzierte Propain 10.000 Fahrräder, die von Vogt aus den Weg in die Welt fanden. Und es sollen noch mehr werden, da der Bike-Sport im Aufwind ist, was David Assfalg nicht erst seit der Pandemie merkt. Denn die hat dem Geschäft einen ordentlichen Schub verpasst.
„Die Pandemie hat uns nach oben und nach unten gezogen“, drückt es Assfalg aus: „Wir hätten um 500 Prozent wachsen können, wenn wir das Material gehabt hätten.“ Man merke den Trend zum Biken, wie die Sportler es nennen. Es gibt immer mehr Bikeparks wie etwa Wolfegg oder Weingarten und auch in den Wäldern zeigen sich die vielen Mountainbiker. Und dann spricht Assfalg noch ein Zukunftsthema an: Die Ski-Saison wird immer kürzer und manche Bergregionen bauen Parcours und Mountainbike-Strecken aus. Nächstes Jahr plant Propain weltweit 15.000 bis 20.000 Fahrräder zu verkaufen.
Eine Ende der Wachstumsphase ist jedenfalls noch lange nicht in Sicht.