Berlin. Frau Haßelmann, es ist bald Halbzeit bei der Welt­naturschutz­konferenz in Montreal. Wie optimistisch sind Sie, dass ein Abkommen entsteht, dass das Arten­sterben stoppt?

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Der Verlust der Arten­vielfalt ist dramatisch, und von acht Millionen Tier- und Pflanzen­arten ist mindestens eine Million vom Aussterben bedroht. Zum Beispiel sind bei Schmetterlingen, Käfern und Libellen fast die Hälfte der Arten in Deutschland akut gefährdet. Da muss dringend etwas passieren. Die Verhandlungen gehen kommende Woche in die heiße Phase, und ich hoffe wirklich auf einen „Paris-Moment“: einen Durchbruch für den Artenschutz, wie er 2015 in Paris für den Klimaschutz erreicht wurde.

Die deutsche Verhandlungs­führerin, Umwelt­ministerin Steffi Lemke, will drei Ziele erreichen: Verbindliche Vorgaben für den Naturschutz, überprüfbare Schritte zur Umsetzung und eine stabile Finanzierung dafür. Ist das nicht naiv angesichts des dürren Ergebnisses beim jüngsten Weltklimagipfel?

Gerade deshalb verspreche ich mir viel von Montreal. Ich glaube, allmählich kommt in Politik und Öffentlichkeit an, dass der Verlust der biologischen Vielfalt neben dem Klimawandel die zweite große ökologische Krise unserer Zeit ist. Diese beiden Krisen verstärken sich gegenseitig – also hilft mehr Naturschutz auch dem Klima, etwa wenn Moore wieder­hergestellt oder Wälder und Meere geschützt werden. Artenschutz ist also Klimaschutz. Wichtig ist, dass wir dabei jetzt vom Reden ins Handeln kommen.

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Und das tut die Ampel?

Ja, etwa mit der Benennung eines Meeres­beauftragten, der Verabschiedung eines globalen Plastik­abkommens oder ganz konkret hier in Deutschland mit der Bereitstellung zusätzlicher Mittel, um Munitions­altlasten aus Nord- und Ostsee zu bergen, haben wir bereits einiges getan.

Deutschland fordert in Montreal, dass bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeres­fläche unter Schutz gestellt werden – mit hohen Standards. Dabei hat Deutschland selbst nur 4 Prozent seiner Fläche unter solchen Schutz gestellt. Um das in nur sieben Jahren aufzuholen, müssen Sie den Turbo einschalten. Womit fangen sie an?

Auf nationaler Ebene sind wir auf der Meeres­fläche bereits bei über 40 Prozent. Auf dem Land gibt es Schutz­gebiete unterschiedlicher Kategorien. Hier geht es darum, dass diese Gebiete ihre Funktionen besser erfüllen können. Aber Sie haben recht: Ein erfolgreiches Abkommen in Montreal wird Deutschland in die Pflicht nehmen.

Wie genau?

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Es wird bedeuten, die Biodiversitäts­strategie von 2007 mit Nachdruck weiter­zuentwickeln. Das sind mehr als 400 ganz konkrete Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt, die auch die Bürger und Bürgerinnen sehr konkret in ihrem Alltag spüren werden – etwa durch renaturierte Flussauen oder gesündere Wälder. Ich kenne viele Menschen mit großer Verbundenheit zur Natur, die das bereits mit vielen kleinen und großen Projekten vor Ort vorantreiben. Zugleich ist es notwendig, die vorhandenen Schutz­gebiete besser zu managen. Dafür ist der Bund mit den Ländern im Gespräch.

„auch Deutschland in die Pflicht nehmen“

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Und das reicht, um das 30-mal-30-Ziel hierzulande zu erfüllen?

Die Ampel hat ein Aktions­programm „Natürlicher Klimaschutz“ mit einem 4-Milliarden-Euro-Budget für vier Jahre aufgelegt, das Natur- und Klima­schutz stärkt. Das ist eine riesige Kraft­anstrengung mit konkreten Finanz­mitteln und Aktions­plänen: Schutz­gebiete effektiver zu managen und vor Verschmutzung zu schützen, den Nährstoff­eintrag in die Ökosysteme und Pestizid­einsatz in der Landwirtschaft zu senken – an diesen Fragen sind wir sehr konkret dran.

Bekommen vom Naturschutzgeld auch die Landwirte etwas ab? In deren Alltag wirken sich höhere Standards ja als Verluste aus.

Erfolg haben wir nur, wenn wir die Bäuerinnen und Bauern bei den vielen Veränderungen mitnehmen. Das heißt, auch bei ihnen die Sensibilität für die Gefährdung der Ökosysteme zu wecken und dafür, dass die Verödung der Böden und das Aussterben von Insekten­arten auch ihre Lebens­grundlage bedroht. Es heißt aber auch, dass wir sie bei Umstellungen und einem Spurwechsel finanziell unterstützen, so wie wir das bei der Tierhaltung ja bereits tun. So setzen wir uns zum Beispiel für eine Umgestaltung der Kriterien für die gemeinsame Agrar­politik der Europäischen Union ein. Da brauchen wir ein Förder­system, das nicht nur die reine Fläche berücksichtigt, sondern auch Artenschutz und Klimaschutz miteinbezieht. Das ist ein riesiger Hebel.

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Die Letzte Generation in Dresden: Jakob B. und Maike G. klebten sich im August an die Sixtinische Madonna.

Radikale Klimaschützer gelten in Sachsen als linke Straftäter

Die sächsischen Sicherheits­behörden bewerten die Klebeaktion in der Dresdner Gemälde­galerie als linke Straftat. Die sehr allgemeine Begründung des Innen­ministeriums sorgt für Kritik.

Als es wegen des russischen Krieges Sorgen um die Nahrungs­sicherheit gab, wurde der Naturschutz in der Landwirtschaft aber schnell geopfert. Auch der Agrar­minister Özdemir stimmte zu, dass die wenigen Fortschritte der EU-Agrar­reform zurück­gedreht und Rückzugs­flächen für Insekten und Vögel beschnitten wurden.

Wir mussten in vielen Bereichen kurzfristig auf die dramatischen Kriegs- und Krisenfolgen reagieren, insofern war das wirklich eine außer­gewöhnliche Lage. An unseren langfristigen Zielen halten wir aber fest, da können Sie sich sicher sein. Wir sollten nicht eine Krise gegen die andere ausspielen. Wir sind aufgefordert, die Ernährung zu sichern und dafür zu sorgen, dass die Biodiversitäts­krise angegangen und zugleich die Klimakrise bekämpft wird.

Wir sollten nicht eine Krise gegen die andere ausspielen. Wir sind aufgefordert, die Ernährung zu sichern und dafür zu sorgen, dass die Biodiversitäts­krise angegangen und zugleich die Klimakrise bekämpft wird.

Britta Haßelmann,

Fraktionsvorsitzende der Grünen

Manchmal widersprechen diese Ziele einander: Wenn für Windparks Wälder weichen, leidet der Artenschutz. Natur­schützer und ‑schützerinnen fordern deshalb einen überregionalen Flächen­ausgleich, also Aufforstung an anderer Stelle. Setzen Sie sich dafür ein, auch wenn es nicht im Koalitions­vertrag steht?

Klar ist: Angesichts der großen Abhängigkeit von fossilen Energien, die der Krieg nur verdeutlicht hat, müssen wir den Ausbau der Erneuerbaren jetzt in aller Intensität vorantreiben – ergänzt durch Energie­einsparung und Energie­effizienz. Dabei wird es auch zu schwierigen Abwägungen kommen, das muss man ehrlich zugeben – und diese müssen im Einzelfall und vor Ort getroffen werden. Ziel muss sein, Natur- und Klima­schutz möglichst in Einklang zu bringen.

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Bei der Finanzierung des internationalen Arten­schutzes will Deutschland vorangehen und hat seine Zusagen auf 1,5 Milliarden Euro verdoppelt. Klingt viel, ist aber ein Klacks gegen die umwelt­schädlichen Subventionen von rund 65 Milliarden Euro, die der Staat daheim jährlich zahlt. Welche bauen Sie zuerst ab? Und schließen Sie aus, dass es noch einmal einen Tankrabatt gibt?

Dass diese Maßnahme nicht mein Lieblings­projekt war, ist kein Geheimnis. Und klar ist auch: An die umwelt­schädlichen Subventionen müssen wir noch einmal ganz grundsätzlich ran, das ist bei uns Grünen aus gutem Grund immer wieder ein Thema. Dass aber die Ampel trotz der krisenhaften Zeit, mit der wir umgehen müssen, Milliarden für den Natur- und Arten­schutz aufbringt, ist ein sehr, sehr starkes Signal. Es zeigt, dass wir gesamt­gesellschaftlich Verantwortung übernehmen.

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