Am vergangenen Sonntag ging es los. Auf 200 bis 300 Brücken rollten Traktoren über deutsche Autobahnen, wie das Portal „t-online“ berichtete. Einen Tag später, am Montagabend, versammelten sich rund zwölf Traktoren an einer Autobahnauffahrt der A1 in Niedersachsen. Laut Polizei kam es dort zu keinen Verkehrsbehinderungen, weil sich die Landwirte nur auf dem Standstreifen aufgehalten hätten.

Damit ist der niederländische Bauernaufstand in Deutschland angekommen, wenn auch nur in Gestalt erster Vorboten. In den Niederlanden war es in den vergangenen Wochen wegen geplanter Umweltauflagen zu massiven Protesten gekommen. Traktoren blockierten Großlager von Supermärkten, Bauern bedrohten Politiker. Die Demonstranten fürchten um ihre Existenz, denn die Mitte-Rechts-Regierung von Mark Rutte will den Stickstoffausstoß im Land verringern. Für 30 Prozent der Viehbetriebe könnte es das Aus bedeuten.

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So drastisch ist die Lage in Deutschland zwar nicht; doch auch hierzulande plant die Regierung, die Stickstoffbelastung durch Viehhaltung weiter zu reduzieren. Dazu ist sie auch verpflichtet. Gegen die Bundesrepublik läuft ein EU-Verfahren wegen zu stark mit Nitrat belasteter Regionen. Nitrat ist ein Abbauprodukt von Stickstoff, das im Kot von Tieren vorkommt und in hoher Konzentration zum Umweltgift wird.

Die Ampel-Koalition hat deshalb nach jahrelangem Hin-und-Her und dräuender Strafzahlungen an die EU die Auflagen zum Nitratausstoß angezogen, wenn auch nicht so stark wie die Niederlande. Dort gilt in manchen Regionen, dass der Ausstoß von Nitrat um beinahe 100 Prozent reduziert werden muss; die neuen deutschen Regelungen betreffen vorläufig nur die Erhebung von Daten zur Umweltbelastung und zur Ausweisung von Gebieten, die mit Nitrat verseucht sind. Auf dieser Grundlage sollen später verschärfte Ausstoß-Grenzen gezogen werden.

Nun sorgen sich auch in Deutschland viele Land- und vor allem Viehwirte um ihre Zukunft. Sie wissen, wie hart die Maßnahmen in den Niederlanden ausfallen. Und sie wollen verhindern, dass es ihnen eines Tages ähnlich ergeht.

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Unter den Landwirten gab es keine Begeisterung. Im Gegenteil; mit Blick auf die extrem scharfen Maßnahmen in den Niederlanden, wo der Nitratausstoß in manchen Regionen um beinahe 100 Prozent reduziert werden soll, fürchten viele um die Zukunft ihrer vieh- und damit nitratintensiven Betriebe.

„Die holländischen Bauern wehren sich schlicht gegen Enteignung“

An den ersten eher zurückhaltenden Protesten hierzulande beteiligten sich lokale Gruppen der Bewegung „Land schafft Verbindung“ (LSV). Deren Vereins-Vorsitzende, Maike Schulz-Broers, hält auf ihrem Betrieb in der Lüneburger Heide kein Vieh, sondern baut Kartoffeln und Rüben an; sie beziehe aber Gülle von einem befreundeten Schweinebauern. Mit Blick auf den westlichen Nachbarn sagt sie: „Die holländischen Kollegen werden zu Unrecht beschuldigt, sich gegen irgendwelche agrarpolitischen Maßnahmen zu wehren – die wehren sich schlicht gegen Enteignung.“

Nitrat in hoher Konzentration kann das Grundwasser gesundheitsschädigend machen, Schulz-Broers weiß das. Sie zweifelt aber an den Daten der EU, die eine solche Konzentration nahelegen. „Es gibt keine Nitratüberseuchung in Deutschland! Wir haben mit das sauberste Grundwasser Europas.“ Schulz-Broers steht im Zentrum eines Streits, in dem es neben Identität und Ethos auch um das Klein-klein aufwendiger Messverfahren und Beweisketten geht. Sie spricht vom „Messstellennetz der Wasserrahmenrichtlinie“, das die hohe Qualität des Wassers „jedes Jahr aufs Neue“ bestätige.

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Es sei

Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) widerspricht ihr scharf. Aus der Wasserrahmenrichtlinie der EU gehe genau das Gegenteil hervor: Das Grundwasser sei „massiv belastet“. Benning, selbst gelernte Landwirtin, kritisiert aber nicht kleinbäuerliche Betriebe wie die von Maike Schulz-Broers und ihren Mitstreitern. Das Hauptproblem sei vielmehr die „Industrialisierung der Tierhaltung“.

Genau darum kümmere sich die niederländische Regierung nicht. Mit Anreizen zum Abbau der Tierplätze habe sie „eher das Höfesterben beschleunigt, anstatt die Tierzahlen in den Großmastbetrieben zu dezimieren“, sagt Benning. Letztere konzentrierten sehr große Mist- und Güllemengen auf zu kleiner Fläche. Benning fordert, dass große Betriebe weniger Tiere halten und jedem Tier mehr Platz geben sollen. „Damit würde auch das Gülleaufkommen verringert und die meisten Bauernhöfe wären wieder im grünen Bereich in der Stickstoffbilanz.“ Finanziert werden müsse dies durch eine Fleischabgabe wie sie im Koalitionsvertrag versprochen, aber wegen der FDP bisher nicht umgesetzt werde, sagt Benning.

Landwirte aller Art fühlen sich durch die Pläne der Politik bedroht

Das könnte eine Lösung für die Zukunft sein. Im Hier und Jetzt jedoch fühlen sich Landwirte aller Betriebsgrößen durch die Pläne der Politik bedroht. Zur Frage, wie es nach den Vorfällen in den Niederlanden nun in Deutschland weitergeht, macht Landwirtin Schulz-Broers nur Andeutungen.

„Wir sind mit verschiedenen Gruppen und Verbänden in Gesprächen“, sagt sie. „Wir haben in der Vergangenheit allerdings leider erlebt, dass bloße Demonstrationen nicht mehr dazu führen, von der Politik gehört zu werden.“ Wie es weitergehe, würden die nächsten Tage zeigen, sagt sie.

Tatsächlich erwarten viele Vertreter aus der Landwirtschaft, dass sich hierzulande die Bauernproteste zuspitzen werden. Und dann ist da noch ein Problem: Unter die Protestler mischen sich, gerade in sozialen Medien wie Telegram und Twitter, immer wieder „Querdenker“ und Rechtsextremisten. Die „Identitäre Bewegung“ behauptete, den „lokalen Widerstand“ der Bauern in Sachsen zu unterstützen. Auch die vom Verfassungsschutz beobachteten „Freien Sachsen“ vereinnahmten den Protest laut „t-online“ teilweise für sich.

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Die eigentlichen Hotspots der Erde liegen in der Peripherie:

Es scheint so, als projizierten bestimmte Milieus ihre Umsturz- und Verschwörungsfantasien auf die Bauern. Besonders virulent sind Behauptungen wie die, der niederländische Premier Mark Rutte stecke mit dem Chef des Weltwirtschaftsforum Klaus Schwab unter einer Decke und wolle eine „Neue Weltordnung“ erzwingen, in der nur noch künstliches Fleisch hergestellt werde.

Darauf angesprochen findet der Deutsche Bauernverband (DBV) klare Worte: „Radikale, Querdenker und andere Spinner versuchen, die Proteste der Bauern für ihre Zwecke zu missbrauchen. Von dieser Trittbrettfahrerei distanzieren wir uns, ebenso von gewalttätigen Protesten oder Sachbeschädigung.“ Die Pläne der niederländischen Regierung bewertet man im DBV jedoch ähnlich wie in der Bewegung „Land schafft Verbindung“: Die Bauern im Nachbarland seien mit „Zwangsstilllegungen“ und „Enteignungen“ konfrontiert, „deshalb sind die Proteste keine Überraschung und verständlich“. Würden derart weitreichende Pläne in Deutschland ein Thema, dann bliebe es auch hier nicht ruhig, prophezeit der Branchenriese.

In Niedersachsen, dem Bundesland mit der größten Fleischindustrie, zeichnet sich das schon jetzt ab. Dort beobachtet Holger Hennies, der Präsident des Landesbauernverbandes, erste Protestaktionen. „Auch hier in Niedersachsen zeigen Landwirte sich solidarisch mit den niederländischen Bauern und protestieren auch“, sagt Hennies; das Landvolk Niedersachsen rufe hierzulande aber nicht zu Protesten auf. „Wichtig ist uns: Wir lehnen jede Form von Gewalt ab. Zum Beispiel das Ausschütten von Gülle vor den Häusern von Politikern ist inakzeptabel“, sagt der Landesbauernpräsident. Dem Verband sei wichtig, konstruktiv mit der Politik im Gespräch zu bleiben.

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Doch auch Hennies betont, dass die neuesten, „von der EU-Kommission angetriebenen“ Vorgaben des Bundes „zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten Gebieten so für uns nicht in Ordnung“ sind. „Gleichzeitig“, schließt Hennies, „kann man die Situation in Deutschland nicht mit der niederländischen vergleichen.“

Die Bauern stehen vor einem Dilemma: Die Politik hat beschlossen, dass weniger Umweltgift in die Natur gelangen soll. Ein großer Teil der Gesellschaft unterstützt das, auch die meisten Bauern wollen eine intakte Natur, von der sie schließlich leben. Auf der anderen Seite lohnt es sich für sie wirtschaftlich kaum noch, die Umwelt zu schonen, weil Einzelhändler so billig wie möglich einkaufen wollen und die EU weiterhin Masse statt Klasse subventioniert. Der Frust und die Wut sind gewaltig. Ob sie sich in Deutschland wie in den Niederlanden entladen, wird auch von der Dialogbereitschaft der Politik abhängen.

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