Neustrelitz (dpa/mv) – Vor dem Hintergrund anhaltender Proteste gegen die Energiepolitik und wachsender Zweifel an der Demokratie sucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das direkte Gespräch mit den Bürgern. Von Dienstag an verlegt er für drei Tage seinen Amtssitz von Berlin nach Neustrelitz. Die ostmecklenburgische Kleinstadt ist die vierte Station in der von Steinmeier Anfang des Jahres ins Leben gerufenen Reihe “Ortszeit Deutschland”. Bei den mehrtägigen Aufenthalten in der Provinz wolle er mit Menschen aller Altersgruppen und sozialen Schichten über aktuelle Herausforderungen, Wünsche und Sorgen ins Gespräch zu kommen, hieß es aus dem Bundespräsidialamt.

Zum Auftakt am Dienstag sind nach der Begrüßung im Rathaus der Stadt Treffen mit Kindern und Jugendlichen geplant. Bei einer “Kaffeetafel kontrovers” will Steinmeier am Mittwoch mit den Teilnehmern unter anderem über die Themen Protestkultur, Folgen der Energiekrise und bürgerschaftliches Engagement diskutieren. Neustrelitz ist seit 2020 Sitz der bundesweit agierenden Ehrenamtsstiftung. Für Donnerstag ist unter anderem eine Gesprächsrunde mit Mittelständlern über die Energiesicherheit geplant. Zudem bestehe bei Spaziergängen durch die Stadt und Besuchen in Einrichtungen Gelegenheit zu spontanen Unterhaltungen. Ebenfalls am Donnerstag wird der Bundespräsident auf dem Marktplatz der Stadt den slowenischen Staatspräsidenten Borut Pahor mit militärischen Ehren empfangen.

Vor Neustrelitz hatte Steinmeier schon Altenburg in Thüringen, Quedlinburg in Sachsen-Anhalt und Rottweil in Baden-Württemberg mehrtägige Besuche abgestattet. Bei der “Ortszeit Neustrelitz” werde sich der Bundespräsident erneut viel Zeit nehmen für Begegnungen. Er wolle sehen, wie die Menschen angesichts des andauernden Krieges gegen die Ukraine, dramatisch steigender Preise sowie nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie auf ihren Alltag und auf das Land blicken. “Er will schärfere Eindrücke gewinnen davon, was die Menschen umtreibt und auch motiviert, Verantwortung zu übernehmen, und was dies wiederum für politische Entscheidungsträger bedeuten kann”, hießt es auf der Internetseite des Bundespräsidialamtes zu dem Besuchsformat.

Eine Ende September unmittelbar vor dem 32. Jahrestag der Deutschen Einheit veröffentlichte Umfrage im Auftrag der Bundesregierung hatte vor allem im Osten Deutschlands wachsenden Unmut offenbart. Demnach sind nur noch 39 Prozent der Befragten zufrieden mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland funktioniert. Zwei Jahre zuvor waren es 48 Prozent. In Westdeutschland sank die Zufriedenheit mit der Demokratie von 65 auf 59 Prozent. Die Umfrage “Deutschland-Monitor” ist Teil des Jahresberichts, den der Ostbeauftragte der Bundesregierung regelmäßig vorlegt. Bei der jüngsten Erhebung äußerten 63 Prozent der Befragten im Osten die Auffassung, dass Ostdeutsche häufig als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

© dpa-infocom, dpa:221010-99-78298/3

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