Der FDP-Politiker Dirk Niebel (59) war von 2009 bis 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er eckte mit seinen Positionen immer wieder an und der Hauptmann der Reserve erntete viel Kritik, als bekannt wurde, dass er ab 2015 als Berater für internationale Fragen und globale Regierungskontakte beim deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall tätig sein wird.
Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht er über das Zögern des Kanzleramts, das gewandelte Image der Branche durch Russlands Krieg, die Vorzüge des Marder-Panzers, aufblasbare Panzertruppen im Krieg und den Einsatz der von ihm oft kritisierten Grünen für schwere Waffenlieferungen.
Herr Niebel, die Rheinmetall-Aktie hat seit Kriegsbeginn um über 100 Prozent zugelegt, auch Sie werden satte Boni kassieren. Wir können es gerade nicht genau erkennen: Haben Sie schon Dollarzeichen in den Augen?
Die sicherheitstechnische Industrie hier im Land hat die Aufgabe, Deutschland zu schützen und dafür zu sorgen, dass unsere Sicherheitskräfte die bestmögliche Ausstattung haben, damit sie aus jedem Einsatz gesund nach Hause kommen. Natürlich ist die erhöhte Nachfrage auch mit erhöhten Umsätzen und Gewinnen versehen. Das ist aber in jeder Branche so.
Sie sind bekannt für ein dickes Fell, mussten für den Wechsel auf den Posten des Rüstungslobbyisten viel Kritik einstecken, nun sind sie im Regierungsviertel ein gefragter Mann…
Die Branche hat eine andere Wahrnehmung, weil viele Menschen feststellen, dass eine gute Zukunft ohne Sicherheit nicht möglich ist. Wir haben das übrigens auch gesehen bei der Evakuierung der Menschen aus Kabul. Und aus diesem Grund muss man mehr investieren in die eigene Verteidigung, in die eigene Sicherheit und auch in die kollektive Sicherheit der Europäischen Union, damit man Abhängigkeiten minimieren kann und im eigenen wohlverstandenen politischen Interesse handeln kann. Denn Militär ist nichts anderes als eine Unterstützung der internationalen Politik der jeweiligen Regierung.
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Zur Unterstützung der Ukraine gehört für Sie eine Lieferung von 100 Marder-Schützenpanzern, aber die Regierung zögert mit dem grünen Licht durch den Bundessicherheitsrat. Wie zu hören ist, liegt das Problem im Kanzleramt.
Wir hoffen, dass das jetzt endlich entschieden wird. Ohne eine Exportgenehmigung zu haben, hat Rheinmetall schon auf eigenes Risiko begonnen, die Fahrzeuge instand zu setzen, sodass sie in kürzester Zeit ausgeliefert werden könnten. Die Ausbildung des Personals kann natürlich erst beginnen, wenn man weiß, wer der Käufer ist. Und solange es keine Exportgenehmigung gibt, gibt es keinen Käufer. Deswegen ist es hier eine Frage des Zeitfaktors. Was will man noch mehr Zeit verlieren? Das kostet noch mehr Menschenleben, man muss den Ukrainern in ihrem Existenzkampf die Unterstützung geben, die sie brauchen.
Wann könnten die ersten Marder denn geliefert werden?
In spätestens drei Wochen, eher noch in zwei Wochen, könnten die ersten Fahrzeuge geliefert werden, mit ausreichend Munitionsvorräten dazu, so dass die Kampffähigkeit gegeben ist. Der Marder als taktisches System ist wesentlich weniger komplex als der Gepard. Es ist ein Schützenpanzer, also ein gesichertes Fahrzeug, um Personal zu transportieren. Und jemand, der in der ukrainischen Armee schon mal einen Panzer gefahren hat, kann dieses Fahrzeug innerhalb von kürzester Zeit fahren.
Und jemand, der in der ukrainischen Armee schon mal eine Kanone in einem Schützenpanzer bedient hat, kann die 20 Millimeter Kanone in kürzester Zeit selbst bedienen und wer hinten rausspringt, macht genau das gleiche, was er in dem ukrainischen Schützenpanzer gemacht hat. Er muss nur wissen, wie die Tür auf- und zugeht.
Können Sie etwas sagen zu den Kosten, und wer zahlt am Ende, Deutschland?
Wenn die Ukraine bei uns kauft, ist die Ukraine der Kunde und für uns auch der entsprechende Ansprechpartner. Ich vermute, wenn wir von diesen 100 Mardern sprechen, dass es so um die 100 Millionen Euro sein werden. Aber ich führe keine Preisverhandlungen.
Der frühere Bundesentwicklungsminister und heutige Rheinmetall-Berater Dirk Niebel.Foto: Privat
Einige Experten munkeln, die Regierung habe vielleicht nur grünes Licht für die Lieferung von Gepard-Panzern durch das Unternehmen Krauss-Maffei-Wegmann gegeben, weil es dafür ohnehin keine Munition gibt – anders als nun beim Marder.
Wir müssen das mal etwas ordnen. Vor wenigen Wochen kam zeitgleich mit dem Bundesparteitag der FDP aus der Schweiz die Nachricht, wonach die Schweiz Munitions-Exporte verbieten würde, deswegen könne man der Ukraine keine Marder anbieten. Das war eine klassische Zeitungsente, denn es ging um die Munition für die Gepard-Panzer, die in der Schweiz produziert wurden.
Die Marder-Munition wird in Deutschland und vielen anderen Ländern produziert und ist fast unendlich lieferbar. Also die Schlussfolgerung, weil die Schweiz Munition für den Gepard nicht rausgibt, könnten wir keine Marder liefern, die ist schlichtweg falsch.
Das hört sich wie eine Ermahnung an den Bundessicherheitsrat an, mal zu einer Entscheidung zu kommen. Haben Sie das Gefühl, dass es für den Gepard grünes Licht gab, um ein bisschen Druck aus dem Kessel zu lassen, wissend, dass er ohne Munition eine ziemliche Defensivwaffe wäre…
Das kann ich nicht beurteilen. Fakt ist, dass die Schweizer Administration ihre Exportpolitik verändert hat. Früher war es so, dass alle Produkte, die weniger als 50 Prozent Schweizer Anteil haben, exportiert werden durften. Das ist für die Ukraine jetzt geändert worden. In die Ukraine wird überhaupt nicht geliefert, was einen Produktionsanteil in der Schweiz hat.
Wegen der traditionellen Neutralität des Landes…
Ja, wegen der Neutralität der Schweiz. Böse Zungen behaupten, auch wegen des eingelagerten Geldes aus Russland in der Schweiz. Der Bundestag hat ja zu Recht beschlossen, dass die Ukraine in Deutschland kaufen könnte. Das ist grundsätzlich möglich, wäre und ist überhaupt kein Problem, direkt bei der Industrie zu kaufen. Die Industrie ist dazu bereit. Wie gesagt, wir sind im eigenen Risiko in Vorleistung gegangen, aber wir brauchen eine Entscheidung der Bundesregierung.
Steckbrief zum Flugabwehrpanzer Gepard, der der Ukraine geliefert werden soll.Foto: Thorsten Eberding/AFP
Beim Gepard wird jetzt sogar in Brasilien und Katar nach Munition gefahndet – aber die Schweiz lehnt auch diese Weitergabe an die Ukraine angeblich ab…
Das Problem ist, dass das System ausgesondert worden ist und die Fahrzeuge mit der vorhandenen Restmunition verkauft worden sind. Nach Brasilien zum Schutz der Fußballweltmeisterschaft 2014, nach Katar zum Schutz der kommenden Fußball-WM. Und einige Fahrzeuge sind halt noch beim Hersteller Krauss-Maffei-Wegmann gewesen. Da nach meinem Kenntnisstand Rheinmetall-Oerlikon das einzige Unternehmen ist, das diese Munition produziert hat, und zwar in der Schweiz, vermute ich mal, dass dieses Weitergabe-Verbot für alle bereits produzierten Munitionsbestände auch gilt. Das Ganze zeigt, dass man immer Lager für die Munition mitdenken muss.
Wenn dieses 100 Milliarden Programm für die Bundeswehr beschlossen werden sollte und tatsächlich nur in die Ausrüstung der Streitkräfte geht – wie die Union es als Voraussetzung für ihre Zustimmung fordert-, müssten davon über den Daumen gepeilt 20 Milliarden für die Aufstockung der Munitions-Bestände genutzt werden, um die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr auch in Kriegssituationen zu gewährleisten.
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Bedeutet das, der ukrainische Botschafter sagt es auch, dass der Gepard wahrscheinlich gar nicht zum Einsatz kommen kann und dass es eine Genehmigung ohne Wert ist.
Also ein Kampffahrzeug, das nicht kämpfen kann, ist in einem Krieg wenig hilfreich.
Man hat den Eindruck, dass viele Hobby-Virologen nahtlos die Fronten gewechselt haben und nun Rüstungsexperten sind. Aber beim Gepard gibt es in der Tat auch das Problem mit dem Radar.
Es ist ein hervorragendes Kampfahrzeug mit seinen zwei 35-Millimeter-Kanonen. Da ist eine Schussfolge von 1100 Schuss in der Minute möglich, das bringt eine enorme Feuerkraft ins Ziel. Allerdings ist die Radar-Technologie mindestens zehn Jahre alt. Und diese alten Radarsysteme sind deutlich leichter zu orten als moderne Systeme, sodass er als Flugabwehr-Gefechtsfahrzeug wahrscheinlich eher Feuer auf sich lenkt als zu unterstützen. Aber im Erdkampf ist er eine brillante Waffe.
Böse Zungen sagen: Früher lief Dirk Niebel mit Bundeswehr-Mütze als Minister herum, heute ist er ein Waffenhändler.
Also ein Waffenhändler fährt nachts mit einem Toyota unter eine Autobahnbrücke, macht den Kofferraum auf und vertickt Kalaschnikows an den, der sie haben will. Wir sind eine sicherheitstechnische Industrie und somit Partner der Regierung. Wir haben auch keine Privatkunden. Unsere Kunden sind immer Regierungskunden und alles, was in Deutschland produziert oder entwickelt worden ist, wird nach dem deutschen geltenden Recht nur mit der Zustimmung der Bundesregierung vertrieben bis hin zur NATO-Partnern. Wenn wir ein Maschinengewehr an Litauen liefern, dann brauchen wir eine Exportgenehmigung der Bundesregierung dafür.
Und das ist auch richtig so und das gilt übrigens für alle anderen Staaten ganz genauso. Überall dort, wo die Patente liegen, entspricht das Exportregime dem nationalen Recht des Landes, wo das Patent eingetragen worden ist. Und das bedeutet dann auch, dass manchmal mehrere Länder beteiligt werden müssen.
Auch das haben wir in dieser Krise neu gelernt.
Ja, da sind dann alte NVA-Fahrzeuge, die mal nach Skandinavien geliefert wurden, von Skandinavien ins Baltikum weiter geliefert wurden und jetzt an die Ukraine verschenkt werden sollten. Dass dies die Zustimmung der Bundesrepublik brauchte, bevor diese Schenkung stattfinden durfte, das hat ja auch eine Zeit lang gedauert, bis man sich dazu durchgerungen hat, diese Fahrzeuge und diese Kanonen freizugeben. Aber immer dann, wenn ein Patent da ist und eine Endverbleibsregelung im Kaufvertrag drin ist, bleibt die gültig für die Lebensdauer dieses Produkts.
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk sagt, er sei der oberste Waffenhändler seines Landes hier in Berlin. Wie laufen die Kontakte zwischen Ihrem Unternehmen und ihm?
Dazu kann ich im Detail nichts sagen. Wir haben als Unternehmen und als Bestandteil der Branche auf den Wunsch der Bundesregierung hin kurzfristig mitgeteilt, welche Produkte wir schnell für die Ukraine oder die Bundeswehr liefern könnten und welche wir mittelfristig liefern könnten. Die Ukraine hat entsprechend Bedarfslisten an die Bundesregierung gegeben. In der Bundesregierung wurde ein Abgleich gemacht, was man ja auch den Medien entnehmen konnte.
Und ansonsten hoffen wir, dass wir für die Dinge, die benötigt werden und die man bei uns gerne erwerben möchte, auch die entsprechenden Exportgenehmigungen bekommen, wie der Deutsche Bundestag es ja in seinem Waffenlieferungsantrag mit überwältigender Mehrheit beschlossen hat.
Wie oft treffen Sie Melnyk?
Dadurch, dass ich mich um internationale Beziehungen kümmere, ist der Kontakt zu den Botschaftern hier in Deutschland ein wesentlicher Bestandteil meiner Tätigkeit. Wir haben keine versteckte Agenda und wir leben davon, dass wir Genehmigungen von Regierungen brauchen.
So fürchterlich der Krieg ist, für die Rüstungsindustrie könnte ein goldenes Zeitalter anbrechen. Der Kanzler sagt: erstmals liefert Deutschland Waffen an eine Kriegspartei.
Moment. Wir haben das schon mal gesehen, als den Jesiden die Köpfe abgeschnitten wurden und unter ganz anderen Rahmenbedingungen die Grundsätze der deutschen Exportpolitik von Jahrzehnten über Bord geworfen worden sind. Völlig zu Recht übrigens wurden damals echte Kriegswaffen in einem echten Krieg an irreguläre Streitkräfte eines nicht existierenden Staates geliefert, nämlich die Kurden.
Also liegt der Kanzler falsch?
Wir liefern nun erstmalig Waffen an eine staatliche Kriegspartei, weil die Kurden keinen Staat haben. Hier handelt es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat. Ein Mitglied der Vereinten Nationen, wo nach der Charta der Vereinten Nationen nicht nur das Selbstverteidigungsrecht besteht, sondern auch das Recht aller anderen Mitglieder der Vereinten Nationen, diesen angegriffenen Staat in seiner Selbstverteidigung zu unterstützen, mit allen notwendigen Mitteln.
Sehen Sie ein neues Image für Ihre Branche?
Die Beschäftigten haben jetzt das Gefühl, dass sie viel mehr wertgeschätzt werden mit Ihrem technischen Know-how und ihren Fähigkeiten, hervorragende Produkte zum Schutz unserer eigenen Soldatinnen und Soldaten oder Polizeikräfte zu entwickeln und zu produzieren. Dass sie ein bisschen rauskommen aus der wahrgenommenen Schmuddelecke, in die sie manchmal gedrückt worden sind. Dahin, wo sie hingehören; in die Mitte der Gesellschaft. Zum Schutz unserer Sicherheitsinteressen.
Mit Verlaub, das ist Ihr Job, das so positiv darzustellen. Es gibt natürlich auch bei Rheinmetall immer wieder Debatten um Schmiergeldzahlungen und das alles doch nicht so sauber läuft.
Die Rheinmetall AG hat ein komplett striktes Compliance-System eingeführt. Nachdem unser Vorstandsvorsitzender 2013 als CEO eingesetzt worden ist, hat er alle Altlasten versucht, mit forensischen Kanzleien selbst aufzuarbeiten und die Staatsanwaltschaften zu unterstützen. Im Ergebnis ist dabei herausgekommen, dass es kein Organisationsversagen des Unternehmens gegeben hat, sondern dass es sich um einzelne Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter, meistens auch anderer Firmen, gehandelt hat. Und dieses Compliance System funktioniert. Das ist ganz wichtig für ein MDAX gelistetes Unternehmen, um nicht von Auftragsvergaben ausgeschlossen zu werden.
Überall ist die Welt in Unordnung, ein großer Kunde ist auch Australien…
Ja, weil die Bedrohung Chinas im Südpazifik natürlich enorm ist. Da geht es auch um die Sicherung von Handelswegen. Dort haben wir mit großem Aufwand eine komplett neue eigene australische Industrie aufgebaut. Mit der Qualifizierung von mittelständischen Unternehmen als Zulieferer, die dazu beitragen, dass das australische Steuergeld, das dort ausgegeben wird, auch einen großen Mehrwert in Australien schafft.
Und das ist überhaupt der Trend, der zu sehen ist. Kein Land, das Steuergeld investiert in seine Sicherheit, akzeptiert einen Vertrag, wo nicht lokale Investitionen getätigt werden. Wir haben jetzt zum Beispiel eine Fabrik in Ungarn, die neu aufgebaut worden ist und Ende des Jahres mit der Produktion von Schützenpanzer beginnen soll.
Als Minister trug Dirk Niebel auf Auslandsreisen gerne seine Fallschirmjägermütze.Foto: Tobias Hase/dpa
Machen wir einen Sprung zurück in die Vergangenheit, erste wollte die FDP das Entwicklungsministerium abschaffen, dann übernahmen Sie das Ressort und Ihnen wurde eine Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit vorgeworfen.
Ja, ich bin ja für den Ansatz der vernetzten Sicherheit als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Militarisierung bezichtigt worden. Das bedeutet, dass man alle Kompetenzen, die man hat, einsetzen muss, um Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Das müssen nicht nur militärische sein, sondern es können im Idealfall auch zivile sein, indem man das Schaffen von Perspektiven, von sozialer Sicherheit, mit Hilfe eines erweiterten Sicherheitsbegriffs auch bestimmte politische Risiken minimieren kann.
Zum Beispiel mit einem Einsatz wie in Mali.
Genau. In Afghanistan haben wir mit der Bundeswehr parallel versucht, dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Ich habe gesagt, ich erwarte von meinen Entwicklungsexperten, dass sie auch den Kontakt zu den Streitkräften und den anderen öffentlichen Playern halten und sich abstimmen.
Sie wollten am liebsten Entwicklungsministerium und Auswärtiges Amt zusammenlegen…
Dieser Vorschlag war in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzbar. Die Bundeskanzlerin hat damals diesen Vorstoß nicht goutiert. Sie hat wörtlich gesagt: Ich lege mich doch nicht mit zweieinhalbtausend NGOs und allen Kirchen an. Es musste also entschieden werden, zwischen Weiter so oder selber besser machen. Dass mir das die mediale Höchststrafe einbringen wird, hatte ich so nicht eingeschätzt.
Allerdings habe ich mit der Fusion der staatlichen Entwicklungsorganisationen zur GIZ die größte Strukturreform in 50 Jahren deutscher Entwicklungspolitik geschafft, an der drei Vorgängerregierungen gescheitert waren.
In ihrer Amtszeit wurde damals auch das große Sparpaket für die Bundewehr beschlossen. Heute stellen wir mit großen Augen fest, dass wir nicht geschützt sind.
Ja, ich denke, dass man jetzt aufgewacht ist und die Ausstattungs- und die Fähigkeitslücken klar erkennt und auch benennt. Und solange das der Fall ist, dann hat es ja einen erzieherischen Wert, der positiv wirkt auf die Zukunft und wir das, was jetzt zu tun ist, nicht innerhalb von ein, zwei Jahren erledigt werden können. Deswegen halte ich den Ansatz des Bundeskanzlers für völlig richtig, dass er mit dem 100 Milliarden Programm, ich sage mal, ein Notprogramm auflegt. Der Bundeskanzler hat zudem zugesagt, mindestens 2 Prozent des Bruttonationaleinkommens pro Jahr für die Verteidigung auszugeben.
Und wenn man beschließt, dass das 100 Milliarden Sonderprogramm für Ausstattung eingesetzt werden muss, dann hat man mehr Flugzeuge, Panzerfahrzeuge, Waffensysteme und Munition. Aber man braucht dann auch mehr Personal, Betriebsmittel und mehr Instandsetzung, sprich Ersatzteile. Das kostet Geld im normalen Haushalt, sonst bleibt es ein Strohfeuer.
Das sehen viele in einer Ampelkoalition ganz anders. Und so klar sieht es selbst der Bundeskanzler nicht mehr, dass es 100 Milliarden sind, plus jedes Jahr zwei Prozent.
Ich kann Ihnen nur sagen, was ich am 27. Februar gehört habe, als ich mir live die Rede des Bundeskanzlers angeguckt habe. Ich ahne, es wird im Sitzungsprotokoll des Deutschen Bundestages exakt so nachzulesen sein.
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Viele Bürger fürchten, dass wir bald an die Schwelle eines Kriegseintritt kommen.
Die Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Es ist natürlich klar, dass wir keine Kriegsbeteiligung wollen und alles tun müssen, dass das nicht passiert. Das setzt voraus, dass wir nicht mit deutschen Truppen in der Ukraine kämpfen. Dass wir nicht in der Ukraine ausbilden und dann mit den ausgebildeten Soldaten ins Gefecht gehen, wie das in Afghanistan gemacht worden ist. Dann wären diese deutschen Soldaten Kombattanten, also ein legitimes militärisches Ziel, das angegriffen werden darf.
So war es in Afghanistan.
Ja, wobei es etwas anders war, weil wir keinen staatlichen Gegner hatten in Afghanistan, sondern irreguläre Streitkräfte. Terroristen. Obwohl ich den Unterschied zu Herrn Putin nur noch ganz wenig erkennen kann. Aber er vertritt einen Staat, der Mitglied der Vereinten Nationen ist. Rechtlich ist das alles ganz klar. Aber was interessiert Putin das Völkerrecht?
Die Bundesrepublik könnte auch wegen der Rheinmetall-Waffen zur Kriegspartei werden.
Wenn Putin meint, wir seien Kriegspartei, dann sind wir Kriegspartei. Wenn ich heute in diesem Interview mit Ihnen Gendersprache benutzen würde und Putin mit seiner Testosterongesteuerten Politik meint, Gendern ist ein Angriff auf seine Persönlichkeit, dann macht er mich in dem Moment zur Kriegspartei. Und dann kann ich mit den Füßen aufstampfen und sagen, ich bin aber im Recht. Doch das ist egal. Wir sollten uns von Putin bloß nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Auch der Kanzler warnt vor einem Atomkrieg.
Wenn die Russen eins können über Jahrzehnte hinweg, dann können sie mit den Ängsten ihres Gegenüber spielen. Sie können sie einsetzen mit einer wirklich tiefen psychologischen Wirkung. Die Atomwaffen sind seit 77 Jahren nicht mehr eingesetzt worden, sondern sie sind immer psychologisch eingesetzt worden. Zum Glück ist keine gezündet worden.
Und es wird natürlich auch in diesem Fall irgendwann eine politische Regelung geben. Ich glaube nicht, dass er Atomwaffen einsetzt. Ich glaube, diese Drohung sollte man so nehmen, wie sie ist, als Drohung, die eigentlich als Schwäche auszulegen ist. Denn er sieht ja, was er im konventionellen Gefechtsfeld alles nicht erreicht.
Wie kommen genau die Waffen in die Ukraine? Panzer lassen sich nur schwer verstecken…
Das weiß ich nicht. Man wird wahrscheinlich den Eisenbahnverkehr nutzen. Man wird Straßen nutzen. Man wird vielleicht Feldwege nutzen. Vielleicht nutzt man auch Ablenkungsmethoden. Ich erinnere mich, dass im Zweiten Weltkrieg vor der Invasion in der Normandie verschiedene aufblasbare Panzertruppen auf englischem Territorium gesichtet worden sind, die dazu geführt haben, dass die Aufklärung der Deutschen, was die potenziellen Angreifer, aber auch den Ort des Angriffs anbetrifft, in die Irre geführt worden sind. Ich hoffe mal, dass alle technischen Möglichkeiten genutzt werden, diesen Transport so sicher wie möglich gestalten zu können.
Sie haben sich oft in Ihrer politischen Karriere mit den Grünen gefetzt. Hätten Sie gedacht, dass das eine Partei wird, die am deutlichsten in Deutschland die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine fordert?
Ich hätte es in der Form so nicht erwartet. Auf der anderen Seite halte ich es nicht für völlig aus der Welt gegriffen, dass diese Entwicklung stattfindet. Denn es gibt ja auch die Responsibility to Protect. Und wir haben erlebt, was in Srebrenica war.
Wir haben erlebt, was in Ruanda passiert ist, und wir wollen nicht noch einen weiteren Völkermord in der Ukraine erleben. Deswegen ist es nur folgerichtig, dass man hier massiv einsteigt. In Srebrenica und in Ruanda ist die Völkergemeinschaft gescheitert. Das ist mindestens einmal zu viel. Ein drittes Mal darf uns das nicht passieren.