Fußball und Nation – Auf gleicher Ballhöhe?

Unpolitisch war der Fußball nie – siehe Argentinien, Russland, Katar und nicht zuletzt die Finanzierungsdebatten in FIFA, DFB und den Vereinen. Was nicht heißt, dass, um bei Filzmaiers Bild zu bleiben, die Qualität der “Spiele” etwas über die Qualität des “Brotes” aussagt. Für die Idee, dass die Leistungen der National-Elf auf den Zustand des Landes schließen ließen, findet man Belege – und noch mehr Gegenbelege.

Das “Wunder von Bern” 1954 – ein sehr glückliches 3:2 -, das zeitlich und sprachlich so schön mit dem “Wirtschaftswunder” (und dem Fräuleinwunder) zusammentraf, ist nicht zuletzt den Trainingsmethoden von Bundestrainer Sepp Herberger geschuldet, die noch aus den Jahren vor 1945 stammten (als der deutsche Fußball eben keine Großmacht war).

Die aus viel liberalerem Zeitgeist hervorgegangene Erfolgsmannschaft der Jahre vor 1974 wurde Weltmeister, als die Wirtschaft in Folge der Ölkrise gerade ins Abseits trudelte. Die Stimmung war bescheiden, die Inflationsrate lag 1974 bei 6,9 Prozent – exakt so hoch wie 2022.

Die Weltmeisterschaft von 1990 fühlte sich für viele wie das Sahnehäubchen auf der friedlichen Revolution von 1989 an. Dabei war die National-Elf von 1990 fast schon ein Anachronismus: Die Wiedervereinigung stand in den Startlöchern, die Mannschaft war noch rein bundesdeutsch besetzt. Wenn jetzt noch die Spieler der DDR hinzukämen, so Bundestrainer Franz Beckenbauer damals, werde “unsere Nationalmannschaft auf Jahre hinaus unschlagbar”. Ein schönes Beispiel für eine gut begründbare, aber leider falsche Prognose.

Die Weltmeisterschaft 2014 kam in schwieriger Zeit gerade recht: Die Banken- und Eurokrise wirkte noch nach, die schwarz-gelbe Bundesregierung war gerade abgewählt und durch eine weitere große Koalition ersetzt worden. Die Zustimmungswerte für Bundeskanzlerin Angela Merkel stiegen von knapp 39 Prozent vor der WM auf 42 zum Jahresende.

Nagelsmann ist gewarnt. Olaf Scholz auch

Geht es dem Fußball gut, wenn das Land gut regiert wird? Oder schlecht, wenn die Wirtschaft bröckelt? Vieles spricht dafür, dass umgekehrt ein Fußballschuh draus wird: Triumphiert die Nationalmannschaft, kann der Glanz des Sieges unverdient auf die Regierenden abfärben. Spielt sie schlecht, ist das eine Steilvorlage für die Opposition. Auch für Verschwörungstheoretiker: Das neurechte Magazin “Compact” etwa macht unter der Überschrift “BRD und DFB: Die Kapitulation” eine ominöse “Regenbogen-Diktatur” für die sportlichen Misserfolge verantwortlich.

Mitunter wird in diesem Zusammenhang auch auf die angeblich mangelnde Motivation von Spielern mit Migrationshintergrund verwiesen – was ausblendet, dass etwa der erste Weltmeistertitel für Frankreich 1998 von einem dezidiert “bunten” Team erspielt wurde.

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