Die Deutschen können stolz sein: Die Zahl der Frauen in den Vorständen der größten deutschen Unternehmen ist auf Rekordhöhe geschnellt. Damit triumphiert der politische Willen zum Wandel über Behäbigkeit und archaische Weltbilder, die das Land in der Vergangenheit festhalten.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Lage ist immer noch zutiefst beschämend. Nach Daten der Unternehmensberatung EY heißt “Rekordhoch”: In den Vorstandstagen sitzen jetzt 13,4 Prozent Frauen, das sind 2,4 Prozent mehr als im vergangenen Jahr.
Und das, nachdem Deutschland jahrelang Staaten wie den USA, Großbritannien oder Schweden hinterhergehinkt ist. In deren 30 größten Börsenschwergewichten stellten Frauen 2020 deutlich mehr als ein Viertel der Vorstandsmitglieder.
Dass deutsche Konzerne nun zunehmend Geschmack an Frauenpower finden, könnte – ganz vielleicht – etwas mit einem Gesetz zu tun haben, das im vergangenen Sommer verabschiedet wurde. Es zwingt große börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Konzerne unter bestimmten Bedingungen, bei Nachbesetzungen für den Vorstand mindestens eine Frau zu berufen, andernfalls drohen Bußgelder.
Quoten sind ein wichtiges Werkzeug
Das jüngste Rekordhoch an Vorstandsfrauen belegt, dass politische Maßnahmen wie eine Quotenregelung das richtige Werkzeuge sind, um Frauen (und anderen entrechteten Gruppen) ihren Anteil an fairen Chancen einzuräumen. Diese Instrumente sollten genutzt werden, um Geschlechterungleichheit auf allen Ebenen der Karriere-Lieferkette zu attackieren.
Kristie Pladson, DW-Wirtschaftsredaktion
Auf dem Papier hat Deutschland zum Beispiel eine fortschrittliche und gerechte Elternzeit-Regelung. In der Praxis aber entmutigen altmodische Rollenklischees und die Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen die Mütter, die gleiche Karriere zu verfolgen wie ihre Ehemänner und Partner. Von einem Vater zu verlangen, dass er nach der Geburt seines Kindes eine längere Babypause einlegt – und ihn dafür finanziell zu entschädigen – würde ihm den kulturellen und wirtschaftlichen Druck nehmen, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Und es würde gleiche Bedingungen schaffen für die Rückkehr berufstätiger Mütter.
Und dann ist da noch das Problem mit der deutschen Einkommensteuer. Wenn derzeit ein Ehepartner wesentlich weniger verdient als der andere, zerstört das Gesetz für ihn jeden Anreiz, überhaupt erwerbstätig zu sein. Und da Frauen im Schnitt etwa 18 Prozent weniger verdienen als Männer, betrifft das in heterosexuellen Beziehungen in der Regel genau sie.
Weibliche Talentpools schaffen
Deutschland ist bekannt für seine Kompetenz in Produktion und Technik, also in Feldern, die traditionell männerdominiert sind. Diese Tatsache provoziert oft das Argument: In dem Bereich gibt’s eben für einen Vorstandsjob viel zu wenig qualifizierte Frauen.
Allerdings haben zielgerichtete Programme der Universitäten und des Staates das Geschlechterverhältnis in den sogenannten MINT-Fächern längst angeglichen, also in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. 2019 waren 24 Prozent der Maschinenbau Studierenden Frauen, so der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen. Stellen Sie sich vor, welche dynamischen Talentpools wir schaffen würden, wenn diese Studiengänge verpflichtet wären, eine festgelegte Anzahl an Frauen auszubilden! Nebenbei: Auch frauendominierte Bereiche wie Pflege und Bildung würden von einer entsprechenden Männerquote profitieren.
Gleichstellung als Geschäftsmodell?
Einige Zeitgenossen denken vermutlich, solche Maßnahmen sind gar nicht nötig, sondern lenken nur ab vom alltäglichen Geschäft der Auto- und Maschinenproduktion oder chemischen Industrie. Das ist regelmäßig das Stichwort für die Gegenseite: Sie präsentiert Studien, die belegen, dass gemischte Teams die Wirtschaftsleistung verbessern. Das könnte vielleicht die gierigen Zyniker unter uns überzeugen. Aber es hat offenbar deutsche Wirtschaftsführer nicht überzeugt, die weibliche Führungskräfte nur unter Androhung von Zwang eingestellt haben.
Das ökonomische Argument ist nicht nur wirkungslos, es greift auch zu kurz. In einer demokratischen Gesellschaft sollten meine beruflichen Möglichkeiten nicht davon abhängen, wie gewinnbringend mein Arbeitgeber mein Geschlecht, meine Herkunft, meine Religion oder meine sexuelle Orientierung einsetzen kann.
Deutschland ist ein ungewöhnlich konsensorientiertes Land, in dem Veränderungen viel Zeit brauchen. Der neue Zuwachs an Vorstandsfrauen zeigt aber, dass sich der Wille zum Fortschritt Bahn brechen kann.
Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs