Interview

Stand: 11.12.2022 11:38 Uhr

Nach fast vier Wochen im Weltraum kehrt die “Orion”-Raumkapsel heute zurück zur Erde. Sie habe dabei viele wichtige Daten für künftige Mondlandungen gesammelt, sagt DLR-Vorstandsmitglied Pelzer – und einen Rekord aufgestellt.

tagesschau.de: Die “Artemis I”-Mission hat bereits einen Rekord aufgestellt – welchen?

Walther Pelzer: Noch nie zuvor hat sich ein für Menschen gebautes Raumschiff so weit von der Erde entfernt, mehr als 430.000 Kilometer. Die “Apollo”-Missionen sind nicht ganz so weit gekommen. Das ist der erste Rekord, aber nicht der Einzige, der mit “Artemis” erreicht werden wird. Wenn man sich die Bilder von “Orion” im NASA-Livestream anschaut, dann ist das wahnsinnig beeindruckend. Gerade die Bilder nah an der Mondoberfläche, im Hintergrund die Erde, das sind schon faszinierende Aufnahmen.

Raumkapsel der “Artemis”-Mission: “Orion” kehrt zur Erde zurück

Zur Person

Der studierte Maschinenbauer Dr.-Ing. Walther Pelzer ist seit 2018 Mitglied des DLR-Vorstands und zuständig für die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR. Diese übernimmt im Auftrag der Bundesregierung die Konzeption und Durchführung des deutschen Raumfahrtprogramms auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. 

Technologie-Test

tagesschau.de: Dieser erste Flug von “Artemis” ist unbemannt und landet noch nicht auf dem Mond. Welche Erkenntnisse erhofft man sich von der Mission?

Pelzer: Es geht um wesentlich mehr als nur zu starten und zu landen. Es sind viele neue Technologien, die getestet werden, etwa Sensoren und Hitzeschild. Es werden unterschiedliche Versuche durchgeführt und viele Daten gesammelt. Auch “Artemis II” wird noch nicht auf dem Mond landen. Das ist übrigens bei den “Apollo”-Missionen das Gleiche gewesen. Da ist man auch nicht mit dem ersten Flug, der bis zum Mond kam, direkt gelandet. “Apollo 10” ist in den Mondorbit geflogen, um die Systeme zu testen. Und das ist absolut notwendig, um zu sehen, wie die Interaktion zwischen den Astronauten mit der entsprechenden Kapsel, den Antriebssystemen, den Steuermodulen und den Sensoren funktioniert.

tagesschau.de: An Bord des “Orion”-Raumschiffs sind zwei Kunststoffpuppen, sogenannte Phantome. Sie heißen “Helga” und “Zohar” und sind mit Strahlenmessgeräten ausgestattet. Was wollen die Wissenschaftler herausfinden?

Pelzer: Das ist ein Gemeinschaftsprojekt des DLR, der israelischen Raumfahrtagentur und der NASA. Eine dieser Puppen trägt eine Strahlenschutzweste, die andere ist ungeschützt. Die Strahlung auf dem Mond ist 800-mal so stark wie auf der Erdoberfläche. Mit diesen Puppen können wir feststellen: Wie groß ist die Strahlenbelastung von Astronauten tatsächlich, die sich auf den Weg zum Mond und irgendwann auf den Weg zum Mars machen? Dann werden die Reisezeiten so lang, dass wir mehr darüber lernen müssen, was tatsächlich mit dem menschlichen Körper passiert.

Nach der Landung von “Artemis” werden einige Daten noch in den USA ausgelesen. Dann kommen die Puppen zurück nach Köln zum DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin und werden hier weiter ausgelesen und analysiert. Mit den Ergebnissen der Tausenden von Sensoren können wir besser bestimmen, wie wir künftige Astronauten schützen und für lange Operationen im Weltall vorbereiten können.

Wiederverwendbare Crew-Kapsel

tagesschau.de: “Artemis II” soll 2024 mit Astronauten an Bord des “Orion”-Raumschiffs in den Mondorbit fliegen, aber auch noch nicht auf dem Mond landen. Was wird da getestet?

Pelzer: Man kann sich das so vorstellen: Der gesamte “Orion”-Komplex besteht aus zwei Hauptteilen, die zusammenarbeiten müssen. Einmal das sogenannte European Service Module: Es versorgt die Astronauten mit Strom, Luft und Wasser. Es ist sozusagen die Herzkammer, das Versorgungsmodul des gesamten Raumschiffs.

Und dann gibt es die Crew-Kapsel, in der die Astronauten sitzen. Sie ist übrigens wiederverwendbar und wird zur Erde zurückkehren. Das Service-Modul mit seinem großen Gewicht wiederwendbar zurückkehren zu lassen, wäre ein Riesenaufwand und sehr teuer. Deswegen wird nur die Kapsel zurückkehren und das Service-Modul wird für jeden Flug neu gebaut und montiert.

Eine Woche auf der Mondoberfläche

tagesschau.de: “Artemis III”, die Mondlandemission, soll frühestens 2025 starten. Wie genau werden die Astronauten zum Mond herabsteigen?

Pelzer: Bei “Artemis III” brauchen wir, zusätzlich zum “Orion”-Raumschiff, einen Moonlander. Dieser Lander wird, bevor “Artemis III” startet, in eine Mondumlaufbahn gebracht. Erst dann startet die “Artemis III”-Mission mit “Orion” und den Astronauten. “Orion” dockt dann im Weltraum an den Lander an und zwei der vier Astronauten werden in den Lander gehen. Dieser koppelt dann vom “Orion”-Modul ab und geht auf die Mondoberfläche.

Dort sollen die Astronauten ungefähr eine Woche bleiben und Exkursionen machen, entweder zu Fuß oder mit einem Rover Richtung Südpol, um zum Beispiel Wassereis und ähnliche Dinge zu untersuchen. Danach kehren sie mit dem Lander zurück, docken an das “Orion”-Modul an, und dann fliegen alle vier Astronauten zurück zur Erde.

tagesschau.de: Bei “Artemis III” wird also das sogenannte Lunar Gateway, diese geplante neue Zwischenstation im Mondorbit, noch nicht genutzt?

Pelzer: Das Gateway wird zu einem späteren Zeitpunkt genutzt. Die Station muss erst noch aufgebaut werden. Bis es sie gibt, wird erstmal mit einem Lander tatsächlich auf dem Mond gelandet. Gateway wird dann eine Raumstation sein – vergleichbar der ISS um den Erdorbit – aber um den Mordorbit. Die Station wird jedoch nur zeitweise mit Astronauten besetzt sein.

Aushängeschild für die deutsche Industrie

tagesschau.de: Im November haben die ESA-Mitgliedsstaaten auf ihrer Ministerratskonferenz in Paris den Etat für die nächsten Jahre festgelegt. Sind Sie zufrieden mit dem deutschen Engagement?

Pelzer: Die deutsche Bundesregierung hat da schon ein sehr starkes Zeichen gesetzt. Als Leiter der Raumfahrtagentur kann ich mir natürlich immer vorstellen, dass ich gerne noch ein paar Projekte mehr machen würde. Wir haben immer sehr viel mehr gute Ideen als Geld. Aber die Bundesregierung hat als stärkster Beitragszahler der gesamten ESA ein ganz klares Zeichen gesetzt. Einmal für die internationale Kooperation, aber auch um zu zeigen: Wir machen Raumfahrt, um Klimawandel zu bekämpfen und Nachhaltigkeit zu unterstützen. Wir haben ein globales Problem und brauchen mit unseren Satelliten einen globalen Blick auf die Erde.

Bei “Artemis” spielt Deutschland mit mehr als 50 Prozent der Wertschöpfung am Servicemodul die stärkste Rolle in Europa. Das ist ein Aushängeschild für die europäische und vor allem auch deutsche Industrie. Es ist das erste Mal, dass die Amerikaner ein missionskritisches Bauteil nicht in den USA fertigen lassen. Das hat es noch nie gegeben vor und hat viele Diskussionen bis in den US-Kongress herbeigeführt. Aber Europa und speziell Deutschland sind wettbewerbsfähig, zuverlässig und zeitlich hervorragend im Plan.

Mond als Forschungsobjekt

tagesschau.de: Wenn man die “Artemis”-Missionen mit den “Apollo”-Missionen vergleicht, was ist der Hauptunterschied?

Pelzer: Nach mehr als 50 Jahren kehren wir zum Mond zurück – das ist ein Riesenschritt für die Menschheit. Dieses Mal kehrt nicht eine Nation im Wettrennen politischer Systeme zurück. Dieses Mal ist auch Europa dabei, und in vorderster Front ist Deutschland mit dabei. Bei “Apollo” war der Mond weniger ein wissenschaftliches Objekt, sondern es ging darum, welches System technologisch überlegen ist.

Dieses Mal kehren wir zurück, weil wir festgestellt haben, dass der Mond wahnsinnig interessant ist, um etwas über die Erde zu lernen. Es gibt dort keine Erosion und keine Atmosphäre. So können wir feststellen: Was ist über die Jahrmillionen eigentlich auf der Erde passiert? Das können wir auf dem Mond sehr gut untersuchen. Es gibt Wassereis, übrigens nicht nur am Südpol. Und weil Wassereis auch Sauerstoff enthält, birgt das die Möglichkeit, Sauerstoff für Astronauten und Astronautinnen herzustellen. Und es gibt Wasserstoff. Damit gibt es die Möglichkeit, Raketentreibstoff herzustellen, um dann vom Mond weiterzureisen, zum Beispiel zum Mars.

Das Interview führte Ute Spangenberger, SWR

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