Eugen und Käte Löwenthal wurden im April 1942 nach Zamosc deportiert. Hier fielen sie dem Vernichtungswahn des nationalsozialistischen Regimes zum Opfer. © Stadtarchiv Plettenberg
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kommt es überall in Deutschland zu Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger: Hunderte von Synagogen und Bethäuser wurden zerstört oder gingen in Flammen auf, rund 7500 Geschäfte wurden geplündert oder verwüstet, Wohnungen demoliert, Menschen ermordet und annähernd 30.000 Juden verhaftet. Auch in Plettenberg nahm das nationalsozialistische Inferno seinen Lauf.
Plettenberg – Manche jüdischen Mitbürger waren so geschockt, dass sie – wie vom NS-Regime gewünscht – ihre Ausreise vorantrieben. Manchen gelang die Flucht vor dem sicheren Tod allerdings nicht mehr.
20 Festgenommene
Am Morgen des 10. Novembers wurden insgesamt 20 jüdische Männer in Plettenberg festgenommen. Einige wenige von ihnen wurden aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters direkt wieder freigelassen. Dazu zählten Adolf Sternberg (70 Jahre), Louis Löwenthal (74 Jahre) und Alex Heilbronn (70 Jahre). Die anderen Festgenommenen wurden aus dem Gestapo-Gefängnis in Dortmund in das in der Nähe von Berlin gelegene Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert.
Zu den Deportierten gehörten auch der Geschäftsmann Eugen Löwenthal und der Viehhändler Leo Hesse. Nach mehrwöchiger Inhaftierung, physischer und psychischer Erniedrigung, wurde Eugen Löwenthal am 15. Dezember 1938 aus der Haft entlassen. Leo Hesses Entlassung erfolgte am 22. Dezember 1938. Beide kehrten nach Plettenberg zurück.
Doch die Inhaftierung in Sachsenhausen brachte beiden die eindringliche Gewissheit, dass in Deutschland kein Platz mehr für sie ist und sie ihre Auswanderung systematisch zu betreiben hatten. So stellten sie Anfang 1939 für sich und ihre Ehefrauen einen Ausreiseantrag. Die Löwenthals beantragten die Ausreise nach Chile oder Bolivien, Hesses Auswanderungsziel war Frankreich. Beiden Ehepaaren gelang die Ausreise nicht mehr.
Eugen Löwenthal und seine Frau wurden am 30. April 1942 zum Südbahnhof in Dortmund gebracht, wo sie die Deportation in den Osten nach Zamosc erwartete. Eugen Löwenthal war 41 Jahre, seine Frau Käte war 34 Jahre alt, als sie den Zug besteigen mussten, der sie und andere jüdische Mitmenschen ohne Ausnahme dem Vernichtungsprozess der „Endlösung“ zuführte.
In Minsk ermordet
Das Ehepaar Leo und Rosa Hesse, die 1941 noch nach Wuppertal umgezogen waren, wurde am 9. November 1941 nach Düsseldorf gebracht und von dort am 10. November 1941 nach Minsk in Weißrussland deportiert. Dort wurden sie ermordet.
Zuvor hatte der Mob aus SS, SA und fanatisierten Bürgern in Plettenberg in der Nacht vom 9. auf den 10. November bereits schwer gewütet und sicher auch die übrigen jüdischen Mitbürger in Angst und Schrecken versetzt. Die Konfektionsgeschäfte der Witwe Sternberg, der Gebrüder Sternberg und der Gebrüder Löwenthal hatten mit Schäden bis zu 3000 Reichsmark pro Geschäft und Wohnung zu kämpfen.
Auch die Metzgereien von Alex Heilbronn und Julius Lennhoff wurden angegriffen. Beim Metzer Alex Heilbronn war ein vergleichsweise geringer Schaden in Höhe von 300 Reichsmark entstanden. Bei der Metzgerei Lennhoff jedoch betrug die Schadenshöhe etwa 1 500 Reichsmark.
Das Schaufenster, eine Kasse und die Ladentür im Geschäft von Lennhoff waren zerstört worden, in der Wohnung insbesondere zwei Küchenschränke, ein Kleiderschrank, eine Toilette, eine Uhr und ein Spiegel.
Das Wohn- und Geschäftshaus von Julius Bachrach und Hugo Neufeld sparten die Nationalsozialisten bei ihren Verwüstungsaktionen aus. Das Geschäft hatte seit 1937 ein „Arier“ gepachtet, der von den örtlichen Marodeuren verschont wurde.
Ausgangspunkt der Pogrome vom 9. auf den 10. November 1938 war ein eher randständiges Ereignis. Herschel Grynszpan, ein Jude mit polnischer Staatsangehörigkeit, hatte in Paris ein tödliches Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath verübt. Diese Tat diente dem NS-Regime als Vorwand für die Pogrome. Nach dem Bekanntwerden des Todes des Diplomaten rief Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in München in einer hasserfüllten, antisemitischen Rede zu Rache und Vergeltung auf.
Durch diese Rede fühlten sich führende NS-Schergen zu Aktionen aufgerufen. Sie begannen noch von München aus, wo sie am 9. November dem gescheiterten „Hitler-Putsch“ von 1923 feierlich gedachten, ihren Dienststellen entsprechende Anweisungen zu geben.
„Gegen Synagogen“
Auch in Plettenberg trafen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die von der NS-Führung auf den Weg gebrachten Anweisungen ein. Ein Fernschreiben des Leiters der Geheimen Staatspolizei in Berlin erreichte über die Staatspolizeistelle Dortmund auch die SA- und SS-Einheiten vor Ort: „Es werden in kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden insbesondere gegen deren Synagogen stattfinden. Sie sind nicht zu stören. Jedoch ist im Benehmen mit der Ordnungspolizei sicherzustellen, dass Plünderungen und sonstige Ausschreitungen unterbunden werden können. Sofern sich in Synagogen wichtiges Archivmaterial befindet, ist dieses durch sofortige Maßnahme sicherzustellen.“
Die Pogromnacht war der Auftakt der äußerst gewaltvollen Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger, die in den Jahren zuvor bereits faktisch entrechtet waren. In den folgenden Jahren wurde mit der systematischen Vernichtung der europäischen Juden begonnen – die Pogromnacht war quasi das Fanal dazu.
Von Martina Wittkopp-Beine
Die Pogromnacht in Plettenberg – Bericht des Bürgermeisters
Welche Zerstörung es in Plettenberg in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gegeben hatte, dokumentiert ein Bericht des Bürgermeisters Heinrich Brüggemann an den Landrat: „In der Nacht vom 9. zum 10. November des Jahres wurden die Fensterscheiben der jüdischen Geschäfte in Plettenberg und außerdem zum großen Teil auch die Wohnungseinrichtungen der hier wohnenden Juden zerstört. Aufgrund der gegebenen Anordnung wurden dann am frühen Morgen des 10. Novembers die in der anliegenden Liste aufgeführten männlichen Juden festgenommen.
Die Unterbringung erfolgte in Werdohl, Herscheid und Plettenberg (Rathaus und Amtshaus). Es sind nur solche Maßnahmen getroffen worden, die keine Gefährdung des deutschen Lebens oder Eigentums mit sich brachten. Geschäfte und Wohnungen von Juden wurden lediglich zerstört, nicht geplündert. Brände sind nicht gelegt. Das in dem Geschäftsraum der hiesigen jüdischen Kultusgemeinde vorhandene Archivmaterial wurde polizeilich beschlagnahmt und ist hier sichergestellt.
Besondere Aktionen gegen Juden oder antisemitische Kundgebungen haben in der Stadt und Amt Plettenberg seit gestern Morgen nicht mehr stattgefunden. Es wurden in der vergangenen Nacht lediglich noch die Bretterverschläge der Schaufenster zu den jüdischen Geschäften mit Aufschriften wie zum Beispiel „Raus nach Palästina“ und so weiter beschmiert. Täter konnten nicht ermittelt werden.“
Von den Gefängnissen ging es dann über die „Steinwache“, dem Gestapo-Gefängnis in Dortmund, in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Inhaftierung hatte das Ziel, durch Repressalien und Folterungen die jüdische Bevölkerung zur Auswanderung zu zwingen. Die Inhaftierten sollten physisch und psychisch erniedrigt werden.