von Diana Dittmer

04.11.2022, 14:00

6 Min.

Olaf Scholz reist mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach China. Vor allem die Autoindustrie hofft dort auf gute Geschäfte. Wie die Chancen stehen, schätzt Gregor Sebastian vom Mercator Institute for China Studies (MERICS) im Interview ein

Herr Sebastian, Kanzler Scholz fliegt nach China. Begleitet wird er von Vertretern der deutschen Wirtschaft, beispielsweise aus der Autoindustrie. Das Kanzleramt tut so, als handele es sich um business as usual. Ist es nicht eher ein Ritt auf der Rasierklinge?

GREGOR SEBASTIAN: Von Zeitplanung und Optik hätte die Regierung bei dieser Reise manches besser machen können. Scholz signalisiert den Unternehmen hierzulande, dass Maßnahmen für Investitionen in China weiterhin unterstützt werden. Ob es das richtige Signal zur richtigen Zeit ist, bezweifle ich. Die Indopazifik-Strategie, die die Regierung im Jahr 2020 vorgelegt hat, stellt eher Diversifizierung in den Vordergrund.

Und warum dann diese große Show?

Das hat unter anderem mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage in Europa zu tun. Die Bundesregierung hat immer ein Interesse, dass es der deutschen Wirtschaft gut geht, weil das Arbeitsplätze schafft. Deutschland ist eines der wenigen EU-Länder, das sein verarbeitendes Gewerbe in den vergangenen Jahrzehnten halten konnte. Wir haben Hermes-Kredite für Exporte und Investitionsgarantien. Das hilft deutschen Unternehmen, neue Märkte zu erschließen und wirtschaftliche Probleme in Europa aufzufangen. China spielt da schon immer eine große Rolle. Denken Sie an Sigmar Gabriel, der 2017 nach China gereist ist, um die Produktionsquote von E-Autos in China wenigstens zu verzögern. Daimler, BMW sowie Volkswagen waren damals nicht konkurrenzfähig und erhielten so mehr Zeit, um bei ihrer Elektroauto-Modellpalette nachzubessern. So ein Einsatz gibt der Wirtschaft Sicherheit.

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer

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Ist die Wirtschaft auf diese Sicherheit so sehr angewiesen oder könnte sich die Bundesregierung nicht auch mehr harte Kante gegen China leisten? Wie sehr würde das dem Industriestandort Deutschland schaden?

Man muss trennen zwischen den Interessen der Bundesregierung und denen der Unternehmen. Einige Unternehmen sind sehr abhängig vom chinesischen Markt. Aber selbst da muss man differenzieren. Schauen Sie sich die deutsche Autoindustrie an. Deutsche in China gekaufte Autos werden zu über 90 Prozent vor Ort produziert. Das heißt, an dieser Autoproduktion in China hängen kaum deutsche Arbeitsplätze dran. Wenn China etwas gegen Volkswagen unternimmt, würden sich die Chinesen selbst schaden, weil Zehntausende chinesische Jobs betroffen wären! Vor allem im strukturschwachen Nordosten Chinas sind deutsche Unternehmen wichtige Steuerzahler und Arbeitgeber. China kann es sich also auch nicht einfach so leisten, es sich mit Deutschland zu verscherzen. Wir forschen noch daran, wie viele Arbeitsplätze und Gewinne von den Investitionen in China abhängen.

Finanzieren die Autobauer mit ihrem China-Geschäft nicht auch Jobs in Deutschland?

Auch das ist kompliziert. Denn China macht es Unternehmen nicht leicht, Gewinne nach Deutschland zurückzuführen. Wir sehen deshalb hohe Reinvestitionen in China, die Gewinne der Konzerne bleiben also zum großen Teil dort. Andererseits ist natürlich auch richtig, dass der VW-Kurs nicht da wäre, wo er ist, wenn es nicht den China-Markt gäbe. Aber um genauer zu beurteilen, wie viel von den Gewinnen für den Industriestandort Deutschland relevant ist, fehlt die Datengrundlage. Richtig ist: Viel bleibt in China. 

Dann könnte die deutsche Regierung doch mehr Druck auf die Regierung in Peking ausüben?

Natürlich. Sicherlich hängen Jobs hierzulande an China, teilweise durch Exporte, teilweise durch Ingenieure, die hier in Deutschland für China entwickeln und forschen. Aber es würde nicht gleich alles wegbrechen, wenn sich die Beziehungen abkühlen würden. Ich würde sagen, gesamtwirtschaftlich ist die Abhängigkeit deutlich niedriger als für einzelne Unternehmen. 

Politische Rückendeckung für die deutsche Autoindustrie wirkt wie das Helikopter-Verhalten von Eltern bei Kindern. China hat erst kürzlich Deutschland als zweitgrößten Autoexporteur der Welt überholt. Bei E-Mobilität hat die Volksrepublik die Nase schon lange vorn. Die deutsche Autoindustrie ist vielleicht einfach nicht mehr Klassenbeste und sucht nur noch verzweifelt Anschluss – mithilfe der Politik. Sollte man sich das vielleicht mal eingestehen?

So weit würde ich noch nicht gehen. Sicherlich steht die deutsche Autoindustrie in China vor großen Herausforderungen und hinkt einige Jahr hinterher, gerade was E-Mobilität und autonomes Fahren angeht. Aber ein ausgemachtes Rennen ist das noch nicht. Viele chinesische Hersteller sind in der Startup-Phase. Ob es die noch in drei Jahren gibt, wird man sehen. 

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Und wie könnte der Spagat zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen dann aussehen? 

Für die Autobauer läuft es sicherlich darauf hinaus, dass sie das China-Geschäft vom Weltmarkt abspalten. Was man bereits tut, ist, in China für China zu produzieren. Außerdem werden lokale Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen für den chinesischen Markt gebaut. Das ist eine nachvollziehbare Strategie. Einige deutsch-chinesische Kooperationen, die jetzt eingegangen werden, sind sicherlich schon darauf gemünzt, sich ein geschlossenes Ökosystem in China aufzubauen, falls Zugänge – beispielsweise durch Sanktionen – gekappt werden.

Welche Risiken birgt denn so eine Parallel-Wirtschaft für den Industriestandort Deutschland? 

Gut ist das nicht, weil weniger Komponenten und Know-how von Deutschland nach China fließen werden. Volkswagen hat ein eigenes China Board, um das China-Geschäft zu bündeln. Ich sehe vor allem ein Risiko: Die Autobauer glauben trotz des volatilen globalen Umfelds, sie könnten die Innovationen aus China auch global nutzen. Das ermöglicht zwar wirtschaftliche Skaleneffekte, aber erhöht auch die Abhängigkeit gegenüber China, nicht nur vom dortigen Absatz, sondern auch der Technologie.

Das hört sich nach keiner zukunftsorientierten Strategie an. Wäre stattdessen nicht schnelle Diversifizierung rational angebracht, so wie es die Indopazifik-Strategie empfiehlt?

Im Bereich der Lieferketten außerhalb von China hat sich in der Tat noch nicht genug getan. Wenn es um bestimmte Rohstoffe geht, sind wir noch sehr stark von China abhängig. Insbesondere die deutschen Autobauer gehen große Risiken ein, weil sie noch viel mehr auf China setzen als andere internationale Autobauer. Es ist tatsächlich eine gefährliche Wette.

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Präsident Xi Jinping hat gesagt: „Wenn Sie zur Innovation in China beitragen, wird China Sie voll und ganz unterstützen, unabhängig davon, woher Sie kommen.“ Kann man seinen Worten trauen? 

Die Autoindustrie steckt in einer äußerst schwierigen Situation, man könnte auch von einer Lose-Lose-Situation sprechen. Das heißt, unabhängig davon, welche Entscheidung sie trifft, wird es Nachteile nach sich ziehen. Bleibt sie in China, geht sie ein riesiges geopolitisches Risiko ein. Geht sie nicht tiefer hinein, wird sie eventuell über das nächste Jahrzehnt zwischen der chinesischen Konkurrenz und Tesla zerrieben. Man muss auch in die Zukunft denken. Wenn man nicht stärker in China ist, was tut der Rest der Welt? Wir können die Festung Europa bauen, mit hohen Zöllen, und keinen reinlassen. Der Rest der Welt aber, muss man sich klar sein, wird sich nicht so stark abschotten. Andere Länder werden die chinesischen E-Autobauer begrüßen.

Apropos: Chinas E-Autobauer proben wieder mal den Markteintritt in Deutschland. Welche Chancen räumen sie dem ein? Sollte man das denn zulassen – aus geopolitischer und wirtschaftlicher Sicht?

Das sollte uns nicht unnatürlich vorkommen. Wir haben das mit Japan und Südkorea auch schon gesehen. Es kann uns als Konsumenten helfen. Größere Konkurrenz bedeutet niedrigere Preise. Negativ ist: Wir haben riesige staatliche Unterstützungen im chinesischen Markt für chinesische und andere Hersteller in China. Das heißt, wir haben hier die ersten Wettbewerbsverzerrungen, die langfristig negative Konsequenzen für Europa haben können. Und wir haben einen Mangel an Reziprozität. Der E-Automarkt braucht weiterhin Subventionen, in China gibt es die. Aber nur für in China produzierte Modelle. Das ist in Europa anders. Bei uns ist die E-Autoprämie unabhängig vom Herstellerstandort. Das ist ein gewaltiges Problem, weil es Produzenten dazu verleitet, in China für den europäischen Markt zu produzieren.

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Unterm Strich, überwiegen nun die Vorteile oder die Risiken in China?

Aus Sicht der Autobauer ist es wichtig, nuanciert vorzugehen. Ich denke, dass es richtig ist, stärker lokale Entwicklung und Forschung in China zu betreiben. Aus dem einfachen Grund, dass die Marktanteile abnehmen und das Modell Wolfsburg oder Stuttgart mit einem Weltauto, das in China verkauft wird, nicht mehr zeitgemäß ist. Aus Unternehmenssicht zu sagen, wir bleiben in China, ist also auf jeden Fall nicht falsch. Andererseits würde ich davor warnen, China als globales Entwicklungszentrum zu nutzen. Diese Strategie mag potenziell hohe Gewinne versprechen, aber die Risiken überwiegen doch. Hier sollten die Autobauer vom Gas runtergehen. Aus Sicht der Bundesregierung würde ich sagen: Wir müssen unsere bisherigen Unterstützungsmaßnahmen und Investitionsgarantien für Autobauer überdenken. Um zu schauen, ob sie auch der deutschen Wirtschaft nützen. Denn das war Sinn und Zweck der Maßnahmen.

Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen. 

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